Autor: Carl Fahr

  • Bauregeln gotischer Kathedralen, auch am Überlinger Münster?

    Bei Osiander in Überlingen fand ich per Zufall das Buch von

    Malcolm Hislop:
    „Wie baut man eine Kathedrale“.

    Ich stieß unter anderem auf ein interessantes Kapitel über geometrische Regeln, die von den Baumeistern der großen gotischen Kathedralen – hier vorwiegend französische und englische Kathedralen – angewendet wurden. Hier las ich:

    Die Geometrie ist das Herz der Entwürfe mittelalterlicher Kathedralen, denn die Proportionen von Entwürfen, Profilen und Fassaden wurden aus geometrischen Figuren abgeleitet. Sogar Details wie Kreuzblumen, Fenstermauerwerk und Zierleisten basieren auf geometrischen Figuren und wurden mit Zirkel und Winkelmaß gezeichnet.

    Der Gesamtentwurf einer Kirche beruhte also auf der Geometrie mit ihren Regeln der Proportionalität. Am bekanntesten war die Gleichung 1: √2 (1:1,41), die das Verhältnis der Seite eines Quadrats zu seiner Diagonale darstellt und daher leicht zu behalten und zu konstruieren war.

    Und davon möchte ich hier berichten.

    Was besagen die Regeln „ad quadratum“ und „ad triangulum“, wie lassen sie sich darstellen und wurden sie auch beim Bau des Überlinger St. Nikolaus Münsters angewandt?

    zunächst die Regel „ad quadratum“. Sie besagt:

    Das Verhältnis der Seite eines Quadrats zu seiner Diagonale wird als besonders harmonisch empfunden.

    Diese Zeichnung zeigt ein Rechteck, das gebildet wird aus der Seitenlänge A eines Quadrats und der Diagonalen B. Das Seitenverhältnis A/B beträgt 1/√2. Eine mathematische Formel 1 / √2 ist auf einer Baustelle sicherlich unbrauchbar aber ein Rechteck in diesem Maßverhältnis ist mit einer Messleine sehr einfach zu konstruieren.

    A. die Raumproportionen im Mittel- und Seitenschiff des Münsters

    Dies ist der Grundriss eines Gewölbejochs des Mittelschiffs im Überlinger Münster mit den Messdaten aus einem Aufmaß während der Sanierung 1908-1924. Links die Darstellung eines Gewölbeanfängers über einem Dienst und Kapitell.

    Wenn man in dieses Joch ein Rechteck nach den Regeln des „ad quadratum“ einzeichnet, erkennt man, dass nicht die Stützenachsen den Regeln des „ad quadratum“ unterliegen, sondern die Konstruktionspunkte der Gewölbeauflager, die Mittelpunkte der Dienste. Sie bilden ein Rechteck von der Größe 5,91m x 8,37m und nach der Regel „ad quadratum“ 5,91m x 8,358m, also mit minimaler Differenz von 1,2cm.

    Bei dem Entwurf des Grundrisses wurde offenbar die Regel des „ad quadratum“ angewandt. Galt dies aber auch für die Ermittlung der Höhenmaße im Aufriss von Mittel- und Seitenschiff? Ich habe dies zunächst an folgendem 3D-Modell untersucht.

    Auf den ersten Blick erscheint es denkbar, dass im Mittelschiff die Regel „ad quadratum“ angewendet wurde, kaum aber im Seitenschiff. War denn eine so komplizierte Ausführung auf einer mittelalterlichen Baustelle überhaupt möglich?

    Daher meine Überlegung, ob eine konventionelle Messmethode nicht viel einfacher wäre? Die großen Raumproportionen zwar analog „ad quadratum“, die Vermaßung im Detail aber mit der Knotenleine in Ellen oder Fuß?

    In oben stehendem Schnitt habe ichsind verschiedene Messmethoden eingezeichnet.

    rot: gem. „ad quadratum“ eine Addition der Seitenmaße des Gewölbejochs 8,358m + 5,91m = 14,268m als Mittelschiff-höhe bis zum Kapitell und zusätzlich 5,91m bis zum Gewölbescheitel

    grün: gem der Aufmaßblätter 53 und 62 ergibt sich ein Seiten-maß des Gewölbejochs von 14,35m bis zum Kapitell und 5,95m bis zum Gewölbescheitel im Mittelschiff
    im Seitenschiff beträgt die Höhe bis zum Kapitell 12,50m und aus den Gewölberesten ist rekonstruierbar, dass ein gleiches Gewölbe wie im Mittelschiff geplant war, also ebenfalls mit einer Scheitelhöhe von 5,95m
    die Differenz zwischen den Kapitellen im Mittel- und Seitenschiff beträgt 1,85m

    Nach den Baubeschreibungen soll der Kirchenboden ursprüng-lich tiefer gelegen haben. Ein Maß habe ich leider nicht gefunden. Die Maße nach „ad quadratum“ und auch in den Aufmaßblättern beziehen sich aber alle auf die heutige Höhe des Kirchenschiffs.
    Das einzige Höhenmaß, das mit Sicherheit der ursprünglichen Planung entspricht, ist die Differenz von 1,85m zwischen den Kapitellen, auch wenn das einzige erhaltene Kapitell im nördl. Seitenschiff leicht beschädigt und im heute darunter liegenden Gewölbekessel nur schwer einzumessen ist.

    magenta: ein Versuch, eine einfache, handwerksgerechte Messmethode zu finden

    Unter der Annahme, dass auf einer Baustelle normalerweise mit einer Knotenleine gearbeitet wurde mit einer Einteilung in Fuß, würde die Höhendifferenz der Kapitelle 6 Fuß = 1,83m betragen. Das Kapitell im Mittelschiff würde dann 48 Fuß und das des Seitenschiffs 42 Fuß (14,63m bzw. 12,80m) über dem ursprüng-lichen Boden liegen. Der ursprüngliche Boden läge also im Vergleich zum Aufmaß 0,28m unter dem heutigen Boden der Kirchenschiffe.

    Nach einer erneuten Planänderung sollten die Seitenschiffe in gleicher Grundrissgröße aber mit niedrigeren, flacheren Gewölben ausgeführt werden. In den nördlichen Jochen 7 und 8 sind Bauteile dieser Planungs- und Bauphase erhalten.

    In diesem Schnitt sind:

    rot: Maße gem. Regel „ad quadratum“
    grün: Maße lt. Aufmaß Plan Nr. 53 und 62
    magenta: Maße in Fuß

    Gestalterische und konstruktive Merkmale lassen vermuten, dass diese Planänderung vom gleichen Baumeister ausgeführt wurde; dann sicherlich mit gleichen Bemaßungsmethoden.

    In der nebenstehenden Schnittzeichnung beträgt die Höhe des niedrigen Seitenschiff-Kapitells lt. Aufmaß = 9,458m, mit Knotenleine wären 31 Fuß = 9,4488m. Das ist eine Differenz von nur 0,92cm

    Der Höhenunterschied der Kapitelle beider Schiffe ist lt. Aufmaß = 4,8918m, mit der Knotenleine ergeben 16 Fuß = 4,8768m. Die Differenz zwischen Aufmaß und Berechnung in Fuß nur 0,15cm.

    Diese unbedeutenden Maßdifferenzen legen nahe, dass auf der Baustelle die Höhen-maße nicht nach der komplizierten Methode „ad quadratum“ festgelegt wurden, sondern alle Höhenangaben in Fuß bemessen wurden.

    Auffallend ist, dass die gemessene Höhe des Gewölbes im Mittelschiff zwischen Kapitell und Gewölbescheitel mit 5,95m dem Jochmaß nach „ad quadratum“ mit 10 Ellen = 5,91m entspricht.
    Dies geschieht allerdings nur dadurch, dass zwischen dem Kapitell und dem Gewölbe-kämpfer lt. Aufmassblatt Nr.53 eine Überhöhung von 75cm eingefügt wurde.

    Ich vermute, dass die Raumproportionen für Grundrissmaße wegen der notwendigen präzisen Vorgaben für später einzufügende Gewölbe exakt nach der Regel „ad quadratum“ festgelegt wurden, im Aufriss aber nur ungefähr. Die Ausführung erfolgte dann in den handwerklich einfachen, bekannten Messmethoden mit einer Knotenleine in den Maßen Ellen oder Fuß.

    Die exakte Festlegung der Mittelpunkte der Dienste nach den Regeln des „ad quadratum“ war also wichtig für die Konstruktionspunkte der Gewölbeauflager. Und die Gewölbe, wie wurden sie konstruiert? Das soll im Folgenden untersucht werden.

    B. wie wurden die Gewölbe des Mittelschiffs konstruiert

    Wie wurden die Gewölbe über den Diensten konstruiert? Die Mittelpunkte der Dienste waren mit 5,91m (10 Ellen) zu 8,358m (5,91 x √2) nach den Regeln des „ad quadratum“ festgelegt.

    Die Form der Gewölbe war auch schon am Anfang der Planung festgelegt, denn mit der Herstellung der Gewölbeanfänger, die Teil des Mauerwerks sind, wurde bereits die Richtung, die Spannung (Bogen) und das Rippenprofil genau vorgegeben.

    Mit dem Bau des Mittelschiffs wurde 1420 begonnen. Es war ein Sterngewölbe geplant für einen Raum bis ins Firmament! Ein Gewölbe, das erst ca. 100 Jahre später ab 1524 eingesetzt wurde,

    Wie wurde dieses Sterngewölbe über dem Mittelschiff konstruiert und wie war es möglich die Informationen zur Konstruktion und Anfertigung der Gewölbe über Generationen unter den Stein-metzen weiterzugeben.

    Hier links ein Gewölbeanfänger und rechts der Gewölbegrundriss eines Jochs im Mittelschiff des Münsters. Von den Diensten steigen aufgefächert und abgewinkelt Gewölberippen bis zum Gewölbescheitel auf. Wie wurde dieser Rippenstern konstruiert?

    Das Gewölbe soll im Zentrum einen sechsteiligen Rippenstern bilden, der von acht paarweise aus den vier Diensten bzw. Kapitellen aufsteigenden Rippen getragen wird. Seitlich abstützende Rippen führen vom Rippenstern zum Scheitelpunkt der kräftigeren Gurtrippen, welche die Joche begrenzen.

    Eigentlich besteht dieses Gewölbe nur aus zwei Rippen. Sowohl die roten wie die grünen Linien von A über E nach C ergeben gespiegelt die Rippenbögen von B über E nach D und bilden damit das gesamte Sterngewölbe.

    Durch das Aufmaßblatt Nr.53 ist die Form des Gewölbes genau rekonstruierbar. Nach welchen handwerklichen Regeln wurde aber ursprünglich die Geometrie der Rippenbögen ermittelt?

    Die Gewölberippen sind aus vielen Steinen mit gleichem Querschnitt zusammengefügt. Bauökonomisch vorteilhaft ist, wenn ein Gewölbe aus Rippen möglichst gleicher Spannung (Rundung) zusammengesetzt ist.

    hier das Aufmassblatt Nr 53 vom ersten Joch im Mittelschiff.

    oben: der Grundriss des Gewölbejochs mit Massangaben

    unten: Detailzeichnungen zu Gewölbeanfänger und Rippenprofilen

    Bei einem Kreuzgewölbe wie im Chor des Münsters entspricht die Spannung (Spannweite) der diagonal laufenden Rippe dem Abstand der Dienst-Mittelpunkte.Die Rippe bildet einen Halbkreis, der Rippenscheitel entspricht dem Radius. (schwarze Linien)

    Bei einem Sterngewölbe wie im Mittelschiff des Münsters ist die Spannweite des Rippenbogens aber durch die Faltung des Rippenverlaufs größer als die Entfernung der Dienst-Mittelpunkte
    (siehe Verlauf der roten bzw. grünen Linien). Aus dem Aufmaß ergab sich eine Spannweite von ca. 11 Meter.

    Dies läßt vermuten, dass bei der Konstruktion auf dem Reiss-boden der Bauhütte mit einer Knotenleine (empirisch) ein Maß von 36 Fuss (36 x 0,3048 m = 10,9728 m) festgelegt wurde.

    Im folgenden habe ich versucht, die ursprüngliche Konstruktionsweise nachzuvollziehen.  

    Wie zuvor beschrieben, war das Jochmaß des Mittelschiffs mit 4 Ellen zu 4 x√2 Ellen nach der Regel „ad quadratum“ festgelegt worden und für die Spannweite der Gewölberippen 36 Fuss.

    Der folgende Plan zeigt ¼ eines Gewölbejochs im Mittelschiff:
    A = das Rippenauflager (der Kämpfer) eines Dienstes, E = die Jochmitte und H = der Gewölbescheitel

    Auf dem Reissboden der Bauhütte aufgezeichnet, genügt dieser Teilgrundriss zur Berechnung des genauen Rippenverlaufs

    Unter der Vorgabe, dass die Spannung aller Rippen, auch der Gurt- und Schildbogen-profile, gleich sein soll, muß auch die Länge der Strecken A-F-E und A-G-E gleich sein. Die Lage der Punkte F und G, an denen die Rippen ihre Richtung ändern und zum Scheitelpunkt H weiterlaufen, wurde ermittelt mit die Ellipsen-Formel.

    Die Ellipsenformel besagt, dass die Summe der Entfernungen jedes Punktes auf einer Ellipse zu den beiden Brennpunkten immer gleich ist.

    Die beiden Brennpunkte sind in unserer Zeichnung das Rippenauflager A und die Mitte des Gewölbejochs E. Die Länge der Strecke A-F-E und A-G-E, beträgt 18 Fuss, also 18 Knoten der als Messband üblichen Knotenleine.

    Mit 2 Nägeln als Brennpunkte der Ellipse und einer dazwischen gespannten Leine von 18 Knoten Länge läst sich auf einfachste Weise die Ellipse auf den Reissboden der Bauhütte zeichnen. Der Schnittpunkt der Ellipse mit der Mittellinie des Jochs ergibt den Punkt F, an dem sich die Richtung des Rippenverlaufs (rot) ändert, quer zur Schiffsrichtung bis zum Gewölbemittelpunkt E.

    Für die weitere Rippe (grün) sollte ein Verlauf gefunden werden, der die erste Rippe (rot) unter ca. 60 Grad schneidet. Dadurch entsteht in der Jochmitte ein fast gleichmäßiger 6-teiliger Rippen-stern. Hierfür spannte man die 18-teilige Knotenleine, in 11 und 7 Knoten / Fuss unterteilt, und legte so den Knickpunkt fest.

    Die in dieser Zeichnung rot und grün dargestellten Rippen bilden mit den Bogensegmen-ten der Gurt- und Scheidbogenprofile (magenta) ebenfalls gleicher Spannung das gesamte Sternengewölbe. Es haben also alle Rippen die gleiche Spannweite von 36 Fuss = 10,98 m und das Gewölbe eine Scheitelhöhe von 18 Fuss = 5,49m.

    dieses Maßblatt (oben) zeigt die Radien aller Rippen und Rippensegmente gleicher Größe mit r = 5,485m oder 18 Fuß 

    In der folgenden Konstruktionszeichnung sind die aufgemessenen (rot) und die errechneten Maße eingezeichnet. Sie stimmen fast vollständig überein.

    Nur der Abstand zur Quergurtachse weicht ab und ist errechnet mit 1,07m, im Aufmass ist 1,18m eingetragen. Dieses Maß wurde im 1. Joch gemessen und bezieht sich vermutlich auf den Abstand zum Triumphbogen.

    Im Höhenaufmass (unten) ist mit 5,20m die Unterkannte der Rippen zum Kämpfer angegeben. Das errechnete Maß von 5,49m betrifft aber die Konstruktionsachse der Rippen und diese liegt um 0,245m höher. Die Differenz beträgt nur 0,045m.

    Ich hatte zuvor schon erwähnt,
    dass die Höhe des Mittelschiff-Gewölbes zwischen Kapitell und Gewölbescheitel mit 5,95m fast genau dem Jochmaß mit 10 Ellen = 5,91m entspricht. Allerdings nur dadurch, dass zwischen dem Kapitell und dem Gewölbekämpfer lt. Aufmassblatt Nr.53 eine Über-höhung von 75cm eingefügt wurde.
    Der Gewölbeeindruck wäre sonst flacher, gedrückter, weniger himmel-strebend

    Dies ist m.E. nochmals ein Hinweis darauf, dass die Wirkung des aufstrebenden Kirchenraumes und damit die Höhe der Gewölbe von besonderer Bedeutung waren. Die Raumproportionen wurden daher offenkundig nach der Regel „ad quadratum“ festgelegt, Die Ausführung aber erfolgte nach den üblichen, handwerklich gebräuchlichen, einfach auszuführenden und wirtschaftlich sinnvollen Methoden.

    C. verschiedene Maßwerkkonstruktionen der Fenster am Überlinger Münster

    Im Folgenden möchte ich die Regel „ad triangulum“ am Maßwerk dieser drei unterschiedlichen Fenster des Überlinger Münsters untersuchen.

    1. das mittlere Chorfenster, ab ca. 1350

    2. das mittlere Giebelfenster, ab ca. 1420

    3. das Obergadenfenster, ab ca. 1425

    Diese Zeichnung zeigt die drei unterschiedlichen Konstruktionsweisen der obigen Münsterfenster

    1. die schmale Form: ein gleichschenkliges Dreieck im Quadrat

    2. die mittlere Form: ein gleichseitiges Dreieck im Quadrat

    3. die breite Form: ein gleichschenkliges Dreieck im Rechteck, unterteilt nach der Regel „ad quadratum“

    1. das Maßwerk des mittleren Chorfensters

    Aus der Aufmaß-Zeichnung Blatt Nr.28 ergibt sich, dass die äußeren Konstruktionslinien des gesamten Maßwerks (ohne Leibung) ein Quadrat bilden.

    In dieses Quadrat ist eingeschlossen ein gleichseitiges Dreieck, über dessen Seitenlinien ein Bogen mit dem Radius der Seitenlänge des Quadrats den oberen Teil des gotischen Maßwerks über dem Kämpfer bildet

    die einzelnen Konstruktionsschritte für das Maßwerk sind hier dargestellt

    der obere Teil des Maßwerks ist nur aus Kreissegmenten über gleichseitigen Dreiecken gebildet, der untere Teil aus Segmenten mit verschiedenen Radien, die sich aus Zwei- oder Dreiteilungen der Fensterbreite ergeben

    2. das Maßwerk des mittleren Giebelfensters

    dieses Aufmaßblatt Nr. 49 zeigt ein gotisches vierteiliges Fenster, durch Pfosten gegliedert und mit einem seitlichen Gewände, das in der Tiefe mit Wulsten und Kehlen gestaffelt ist.

    den Fensterabschluss bildet ein Maßwerk aus Bögen, Kreisen, Fischblasen und Nasen

    Dieses Maßwerk ist nicht über einem Quadrat oder gleichseitigen Dreieck entworfen, sondern über einem nach den Regeln des „ad quadratum“ gebildeten Rechteck.

    Der Radius der Kreissegmente beträgt 3/4 der Gesamtbreite

    Je 2 Fensterfelder sind durch symmetrische Bogensegmente zusammengefasst, die in ihrer Spannung den äußeren Bögen des Maßwerks entsprechen

    Jedes einzelne Fensterfeld ist nach dem gleichen Konstruktionsprinzip durch Bogensegmente mit r=3/4 Fensterbreite geschlossen.

    hier das Giebelfenster in zwei dreidimensionalen CAD-Zeichnungen

    3. das Maßwerk des Obergadenfensters

    hier ein Ausschnitt aus dem Aufmassblatt 59 zum Fenster im Obergaden,

    Bei Einstellung des Baus der Hallenkirche ca. 1424 und der Umplanung und Einfügung eines Obergadens sollten die Fenster sehr viel Licht in das Innere des Mittelschiffs bringen. Dazu mussten sie einen möglichst breiten Fensterbogen erhalten.

    Die obere Zeichnung zeigt das Maßwerk des Obergadens, ein-gebunden in ein Quadrat, die Seiten in 24 Teile untergliedert.

    Das graue Rechteck in diesem Quadrat hat ein Seitenverhältnis von 24 zu 17 = 1,4117 (nach der Regel „ad quadratum“ 1,4142)

    In dem Rechteck bildet die Fläche oberhalb des Kämpfers ein Maßwerk mit 14 Teilen Höhe und 24 Teilen Breite, die untere Fläche eine Überhöhung von 3 Teilen. Der Radius der großen Bogensegmente beträgt 14 Teile, die Radien der kleineren 5 Teile und die der Nasen 2 Teile.

    In der unteren Zeichnung sind sowohl die Werte gem. Aufmaß (rot) wie die errechneten Werte eingetragen.

    Die Gesamtbreite wird aufgeteilt in 3 Fensterbahnen und diese wiederum 4-fach geteilt. Jedes Einzelteil, hier mit C bezeichnet, beträgt also 1/12 der Gesamtbreite. Dieses Maß C bildet das Grundmaß der Bogenradien im Fenstermaßwerk: der Radius des großen äußeren Bogens beträgt 7 x C, die kleineren Bögen 2,5 x C und für die „Nasen“ beträgt der Radius 1 x C. Die „Nasen“ ergeben sich durch die Überschneidung der Radien bzw. der Profile.

    hier in 3D-Zeichnung die schrittweise Darstellung einzelner Konstruktionsdetails am Beispiel des mittleren Giebelfensters

    eine Idee, eine räumliche Vorstellungskraft, der Wagemut statischer Konstruktionen, die grundlegenden Kenntnisse geometrischer Gesetze, ein grafisches Darstellungsvermögen, große handwerkliche Steinmetzkunst, so entstanden mit unermüdlichem Fleiß großartige Bauwerke

    das Ergebnis meiner Untersuchungen:

    In der ersten gotischen Bauphase ab 1350 wurde für den neuen Chor die Raumbreite der romanischen Basilika übernommen Weder im Grund- noch Aufriss des Chores ist die Regel „ad quadratum“ erkennbar.

    Ganz sicher aber wurde sie angewendet beim zweiten gotischen Bauabschnitt. Auf ihr basiert der Entwurf der geplanten großen Hallenkirche um 1420 und auch die Planänderung um ca. 1425 mit niedrigeren Seitenschiffen.

    Nach Aufgabe auch dieser Planungsphase, dem Abbruch der romanischen Basilika 1429 und dem Weiterbau zu einer fünf-schiffigen Basilika mit abgestuften, niedrigen Seitenschiffen ist die Anwendung der Regel „ad quadratum“ nicht mehr erkennbar.

    Diese Änderung hatte außerdem zur Folge, dass die geplanten hohen gotischen Fensterformen an der Süd- und Nordfassade nicht mehr möglich waren und die bereits vorhandenen Fenster-Gewände mit einem flachen Tudorbogen abgeschlossen werden mussten.

    Die Regeln „ad quadratum“ und „ad triangulum“ lassen sich aber in unterschiedlichen Spielformen an den Fenstern des Chores, des Westgiebels und des Obergadens nachvollziehen.

    Am Anfang meiner Studien stand ein interessantes Kapitel über

    …geometrische Regeln, die von den Baumeistern der großen gotischen Kathedralen angewendet wurden…

    Das Ergebnis dieser Studien zeigt:

    in den entscheidenden Phasen zwischen 1420 und 1429 wurde das Überlinger Münster nach den gleichen Regeln wie die großen gotischen Kathedralen geplant und gebaut.

    Carl Fahr, Dipl. Ing. Architekt BDA

    Juli 2025

  • Überlegungen zur Baugeschichte des Überlinger Münsters

    Überlegungen zur Baugeschichte des Überlinger Münsters

    Die Einbindung des gotischen Neubaus in die mittelalterliche Bebauung: ist der Bauplatz zu klein oder das Münster zu groß?

    Auf alten Fotografien sieht man, daß das Münster noch Ende des 19. Jahrhunderts stark in die Enge der mittelalterlichen Bebauung eingebunden war

    hier die ehem. Ansicht von Nordosten, im Hintergrund, links ehem. Probstei mit nordwestlichem Seiteneingang ins Münster, in der Mitte der Pfarrhof III,

    ehem. Ansicht von Südwesten, Blick zum Hauptportal, links die Lateinschule / ehem. Probstei, Abbruch von Pfarrhof und Probstei 1887/88.

    Auch diese Zeichnung des westlichen Giebelfeldes, gezeichnet 1899 vom erzbischöflichen Baudirektor Max Meckel / Freiburg, zeigt noch Spuren der ehemaligen Einbindung in die mittelalterliche Bebauung und auffallende Abweichungen im Vergleich zur heutigen Fassade:    

    1. Es fehlen alle Strebepfeiler am Westwerk

    2. An der Nord-west-Ecke des Giebels sind Ab-bruchspuren von Ziegelmauerwerk erkennbar

    3. Beide Giebel-seiten der Sattel-dächer weisen senkrechte Fugen, Abstufungen und unterschiedliches Mauerwerk auf

    4. vom Hauptportal aus führt südwärts eine Treppe ca.160 cm hinunter 

    Eine Erklärung zu den Abweichungen gibt dieser Ausschnitt aus dem ersten Katasterplan des badischen Vermessungsamtes Überlingen von 1881. Die Westseite des Münsters war damals noch an beiden Seiten eingebunden in die mittelalterliche Bebauung.

    Die Nordwestecke des Münsters war Teil des Mauerwerks des ehemaligen Pfarrhauses, der späteren Lateinschule (Abbruch 1888).

    Die Südwestecke war angebaut an das „Gasthaus zur Hölle“, Münsterstraße 13, der Wirt hieß Teufel. Bis 1928 gab es einen direkten Treppenabgang vom Münsterportal und Schulhof hinunter zur „Hölle“.

    Der Bauplatz, die Enge der Altstadt und der ehemalige Bachlauf:

    Wie man auf Zeichnungen und alten Fotos erkennen kann, war der Giebel des Münsters an beiden Ecken ursprünglich in die anschließende Bebauung eingebunden. In der Enge mittelalterlicher Städte wurde oft an bestehende Kirchenbauten angebaut. Hier aber wurde die Nordwestecke des Münsters auf eine bestehende Ziegelwand des benachbarten älteren Pfarrhauses (Probstei) aufgesetzt und die Südwestecke des Münsters wegen des Gebäudes und  Parzellenverlaufs des damaligen Beginenhauses (heute Münsterstraße 13) schräg angeschnitten. Für die Planung eines Kirchengebäudes von dieser Größe und Bedeutung, mit Westwerk und drei geplanten breiten Portalen sehr ungewöhnlich. Mit diesem Münsterplan wurde weder die vorhandene Grund-stücksgröße berücksichtigt noch vorher ein der Größe und Bedeutung des Bauwerks angemessener Bauplatz in der Stadt freigeräumt.

    Was war die Ursache? Wie kam es dazu?

    Als Eberhard Rab 1350 den Auftrag zum Bau eines neuen Münsters erhielt – zunächst nur für Chor und Türme als Anbau an die alte romanische Basilika – gab es mit Sicherheit eine Gesamtplanung für ein neues gotischen Münsters nach Abbruch der romanischen Basilika.

    Dieser Gesamtplan ist in den Archiven leider weder mit Dokumenten noch Zeichnungen belegt, es gibt aber diese deutlichen, baulichen Hinweise, die teilweise auch im Grundrissplan ablesbar sind:

    Die Strebepfeiler beider Türme ragen unmotiviert und störend in die heutigen äußeren Seitenschiffe hinein. Dies kann nicht der ursprünglichen Planung entsprechen.

Vieles deutet darauf hin, dass das Mittelschiff und die Seitenschiffe in der Breite der alten romanischen Schiffe geplant waren und dass man die neuen Fundamente über den vorhandenen Fundamenten aufbauen wollte.

Auch die Lage der Wendel-treppe am Nordturm mit dem noch vorhandenen Ansatz eines Zugangs zu einem geplanten Lettner vor dem Triumphbogen stützen diese Vermutung.

    1. Die Strebepfeiler beider Türme ragen unmotiviert und störend in die heutigen äußeren Seitenschiffe hinein. Dies kann nicht der ursprünglichen Planung entsprechen.

    2. Vieles deutet darauf hin, dass das Mittelschiff und die Seitenschiffe in der Breite der alten romanischen Schiffe geplant waren und dass man die neuen Fundamente über den vorhandenen Fundamenten aufbauen wollte.

    3. Auch die Lage der Wendel-treppe am Nordturm mit dem noch vorhandenen Ansatz eines Zugangs zu einem geplanten Lettner vor dem Triumphbogen stützen diese Vermutung.

    links: Außenansicht des Strebepfeilers an der Nord-West-Ecke des Nordturmes mit Anschluss des nördlichen Seitenschiffs, rechts: Innenansicht hierzu mit Strebepfeiler, Treppenturm und restlichem Lettneranschluß

    links: Südwestecke des Strebepfeilers am Osannaturm mit Anschluss an das äußere südliche Seitenschiff,  rechts: Innensicht mit der Flanke dieses Strebepfeilers an der Wand hinter dem Rosenkranzaltar

    1900 veröffentlichte der erzbischöfliche Baudirektor Max Meckel eine Studie zur Entstehung des Münsters. Er vermutete, dass es vor 1350, also noch vor dem Bau des Chores und der Türme, eine erste dreischiffige gotische Vorgängeranlage gegeben habe.

    Meckel kannte aber noch nicht die erst nach 1908 durch Grabungen aufgedeckten romanischen Vorgängerbauten. Diese Grabungen zeigen, dass es nach den romanischen Bauperioden im Bereich der Kirchenschiffe keine Bautätigkeit bis zum Baubeginn der dreischiffigen gotischen Hallenkirche ab 1420 gab.

    Die Überlegungen Meckels beruhten auf den bereits erwähnten baulichen Unstimmigkeiten. Der Anschluss der heutigen gotischen Kirchenschiffe an die Türme konnte nicht dem ursprünglichen Plan entsprechen.

    Seine Überlegungen, die er mit diesen Zeichnungen verdeutlichte, sind  nachvollziehbar, aber zeitlich anders einzuordnen.

    In dieser Darstellung habe ich die bauliche Situation des romanischen Münsters um 1420 nach dem Anbau des gotischen Chores und der beiden Türme dargestellt.

    Der neue gotische Chor und die Türme schließen stirnseitig an die alten Seitenschiffe an.

    Ein Niveauunterschied von ca. 2,40m liegt zwischen den romanischen und gotischen Bauteilen

    Die untere Zeichnung (ähnlich Meckel) soll die eventuelle Planung des Eberhard Rab bei Baubeginn um 1350 zeigen:  

    eine dreischiffige, sechsjochige gotische Hallenkirche in den Ausmaßen der ehemaligen romanischen Basilika.

    Der Eingriff dieser Planung in den Kirchhof, der das Münster umgab, wäre minimal gewesen. Vor Baubeginn hätten aber die romanischen Kirchenschiffe vollständig abgebrochen werden müssen. Die neue ab 1420 verfolgte Planung eines breiteren und längeren Kirchen-Neubaus erlaubte dagegen die weitere Nutzung der alten romanischen Kirche noch viele Jahre während der Bauzeit. Das könnte die Begründung für eine Planänderung gewesen sein.

    Für die neue Planung war aber der vorhandene Bauplatz zu klein.

    Die folgenden Zeichnungen zeigen die Umgebung des romanischen Münsters um 1420, ab 1350 durch gotischen Chor und 2 flankierende Türme erweitert.

    1321 erbaut, das Haus der Beginen "über dem Bogen", heute Münster-straße Nr.13. Vielleicht ein Hinweis, dass dieses Haus brückenförmig über den Olberbach gebaut war, der im Verlauf der heutigen Kronengasse hinunter zum See führte. 1378 urkundlich erwähnt eine Stiftung für das Pfarrhaus "die Probstei" Seit 1394 der westliche Teil des Rathauses. Das ehemalige Badhaus am Bachlauf, heute Ecke Pfarrhof Str./ Spitalgasse erst 1450 genannt. Zwischen 1350 und 1420 wurde die romanische Basilika erweitert um einen gotischen Chor und die beiden Türme.

    die umgebende Bebauung:

    a. 1321 erbaut, das Haus der Beginen „über dem Bogen“, heute Münsterstraße Nr.13. Vielleicht ein Hinweis, dass dieses Haus brückenförmig über den Olberbach gebaut war, der im Verlauf der heutigen Kronengasse hinunter zum See führte.

    b. 1378 urkundlich erwähnt eine Stiftung für das Pfarrhaus „die Probstei“

    c. Seit 1394 der westliche Teil des Rathauses.

    d. Das ehemalige Badhaus am Bachlauf, heute Ecke Pfarrhof Str./ Spitalgasse erst 1450 genannt.

    e. Zwischen 1350 und 1420 wurde die romanische Basilika erweitert um einen gotischen Chor und die beiden Türme.

    Bei Beginn des gotischen Neubaus legte man das Niveau der Kirche um ca.1,50 m höher als das der alten romanischen Basilika. Ein Grund mag die Bodenfeuchtigkeit in der Nähe des Bachbetts gewesen sein aber auch die Topografie des nach Osten ansteigenden Geländes. Eine herausgehobene Lage war außerdem der Bedeutung des Bauwerks angemessen.    

    Mit dem Westwerk und den Außenwänden der geplanten Hallenkirche war nach 1420 begonnen worden. Für die Breite der Kirchenschiffe hatte man die Maße des Mittelschiffs der romanischen Basilika übernommen, auf deren Fundamenten man aufbauen wollte. Die genauen Maße für die acht Joche zwischen Westwerk und Triumpfbogen mussten festgelegt werden.

    Solange das Westwerk und die Außenwände mit den gewaltigen Strebepfeilern errichtet wurden konnte die romanische Basilika weiter genutzt werden.

    Bis 1429 blieb sie erhalten und lag ca.1,50m tiefer zwischen den neuen Fundamenten. Das Gelände ausserhalb, der bisherige Kirchhof, musste auf das neue Niveau aufgefüllt werden. Die Parzelle des Beginenhauses blieb dagegen bis zur Auffüllung 1928 auf altem Niveau erhalten.

    In dieser Zeichnung ist der starke Eingriff des Westwerks in die Südostecke der Probstei dargestellt. Unter oder neben den Fundamenten dieser über 21m hohen Wand des Münsters lag der inzwischen verdolte Olberbach.

    Neben gestalterischen Schwierigkeiten musste die Fundamentierung im oder nahe am ehemaligen Flußbett auch zu großen statischen Problemen führen.

    Da die Länge des Kirchenraumes durch das Jochmaß bestimmt wird stellt sich die Frage, warum man nicht jedes der 8 Joche etwas kürzer geplant hat um dieser Gefahr zu entgehen?

    Was sind die Jochmaße des Mittelschiffs:

    Der folgende Grundriss zeigt die Maße eines Gewölbejochs im Mittelschiff des Überlinger Münsters. Drei Schiffe mit je acht Jochen dieser Größe sollten die Hallenkirche bilden.

    Für die Konstruktion der Gewölbe ist nicht das Achsmaß der Säulen sondern das der Auflagepunkte an den Säulen wichtig. Die 88cm starken Säulen haben begleitende 31cm starke Dienste, deren Kapitelle die Anfänger der Gewölbe-rippen tragen.

    Die Rippen laufen im Zentrum dieser Dienste zusammen. Vier Dienste bilden die Eckpunkte eines Gewölbefeldes.

    Daraus ergibt sich ein Grundmaß der Gewölbe von 5,91 x 8,37m. Hat dieses Maßverhältnis 5,91 x 8,37m evtl. eine Bedeutung?

    Eine erste Vermutung, dass es sich um eine Zuordnung im goldenen Schnitt handeln könne, war nicht richtig. Bei einer Breite des Gewölbefeldes von 8,37m müsste die Jochlänge 8,37m / 1,618 = 5,17m betragen.

    Aber die Untersuchung, ob Länge und Breite einer harmonisch empfunden DIN-Teilung unserer heutigen Papierformate (1,4138) entspricht, trifft zu. Eine Jochlänge von 8,37m / 1.4138 ergibt eine Jochbreite von 5.91m.

    Die gebräuchlichen Maßeinheiten im Mittelalter waren Ellen und Fuß. lt. Wikipedia galten im Kanton Schaffhausen in Stein am Rhein: 1 kurze Elle = 590,7 Millimeter. Das entspricht genau den beim Bau des Überlinger Münsters verwendeten Maßeinheiten. Ein Gewölbefeld von 5,91m x 8,37m entspricht demnach 10 x 14 Ellen.

    Durch die Breite des romanischen Innenschiffs, auf dessen Fundamenten aufgebaut werden sollte, war die Breite der gotischen Kirchenschiffe mit je 14 Ellen vorgegeben. Ein Seitenverhältnis einer Gewölbevierung von 14 zu 10 wurde harmonisch empfunden. Geteilte Maßeinheiten aber, also z.B. 9 Ellen + 1 Fuß für die Länge eines Jochs, wären auf einer über Jahrzehnte angelegten Baustelle nicht praktikabel. Daraus folgt:

    Bereits mit dem Rohbau mussten die Gewölbeformen festgelegt und die Gewölbeanfänger eingesetzt werden. Es war notwendig, die einzelnen Teile der Gewölberippen mit vielen verschiedenen Profilen und Spannweiten, Verbindungen, Durchdringungen und Kreuzungen und den dazu gehörigen hölzernen Lehren und Schablonen lange vor dem Einbau genau festzulegen und in der Münsterbauhütte anzufertigen. Jahrzehnte später mussten auf den zuvor in gewaltiger Höhe eingebauten Gewölbeanfängern alle Teile passgenau aufgesetzt werden können.

    Das verlangte eine über viele Generationen weitergereichte, bewundernswerte Planung, Vorbereitung und Ausführung mit größter Präzision.

    Das Münster wurde durch die Entscheidung, eine Hallenkirche mit 3 gleich-breiten Kirchenschiffen und je 8 Jochen zu bauen, für das vorhandene Grund-stück zwar geringfügig zu groß, aber die genaue Einhaltung der Maßeinheiten war für den weiteren Bauablauf von besonderer Wichtigkeit.

    Die logische Folge: der Eingriff in die vorhandene Bebauung war konstruktiv notwendig aber bei einem so bedeutenden Bauwerk auch ausreichend begründet.

    Carl Fahr, Dipl. Ing. Architekt BDA, Überlingen, 2021

    Nachtrag 2023

    In der Bücherkiste einer Buchhandlung fand ich jetzt:

    Malkolm Hislop

    „Wie baut man eine Kathedrale“, Eine illustrierte Darstellung des Baus von mittelalterlichen Kirchen und Kathedralen

    Im Kapitel: „Der Entwurf, Proportionen und angewandte Geometrie“ las ich:

    Die Geometrie ist das Herz der Entwürfe mittelalterlicher Kathedralen, denn die Proportionen von Entwürfen, Profilen und Fassaden wurden aus geometrischen Figuren abgeleitet. Sogar Details wie Kreuzblumen, Fenstermauerwerk und Zierleisten basieren auf geometrischen Figuren und wurden mit Zirkel und Winkelmaß gezeichnet. Der Gesamtentwurf einer Kirche beruhte also auf der Geometrie mit ihren Regeln der Proportionalität.

    Am bekanntesten war die Gleichung 1:  (1:1,41), die das Verhältnis der Seite eines Quadrats zu seiner Diagonale darstellt und daher leicht zu behalten und zu konstruieren war.… Quadrat und Dreieck bildeten auch die Grundlage für die beiden wichtigsten geometrischen Systeme, die den Entwürfen von Kirchenprofilen zugrunde lagen:

    ad quadratum, das auf dem Quadrat basiert ist und

    ad triangulum, das auf dem gleichseitigen Dreieck beruht.

    Ohne Kenntnis dieser Bauprinzipien des ad quadratumoder ad triangulum hatte ich 2021 auf der Basis von Aufmaßzeichnungen ermittelt, dass offensichtlich nicht der Achsabstand der Säulen mit 5,91m x 9,37 m oder die Wandstärken und Wandabstände der Obergaden mit 0,88 m und 8,49 m für das Grundmaß des Überlinger Mittelschiffs wichtig waren, sondern die zentralen Auflagerpunkte des Gewölbes im Abstand von 5,91 m x 8,37 m, die einem Verhältnis von 1:1,4 (10 Ellen x 14 Ellen) entsprechen.

    Dies entspricht der Gleichung 1:Wurzel2 gem. ad quadratum.     

    Im Folgenden habe ich deshalb untersucht, ob auch bei der Planung des Überlinger Münsters die mittelalterlichen Bauprinzipien des ad quadratum oder ad triangulum in Grund- und Aufriss angewendet wurden.

    Im ursprünglichen Entwurf von 1420 war eine Hallenkirche mit drei gleichbreiten und nahezu gleichhohen Kirchenschiffen geplant. Dies beweist der noch erhaltene Gewölbeanfänger im nördlichen Seitenschiff. Das Mittelschiff sollte auf den Fundamenten der romanischen Basilika errichtet werden.

    Die Entwurfsgrundlage war vermutlich eine frei gewählte Jochlänge von 10 Ellen, nach heutigem Maß 10 x 59,1cm = 5,91m. Aus einem Quadrat mit dieser Kantenlänge wurde die Diagonale = Breite der Kirchenschiffe mit 8,358m ermittelt.

    Die Ermittlung und Zusammenfügung der Geometrien wird hier dargestellt:

    Die Übertragung der Geometrien auf ein Joch des heutigen Mittelschiffs zeigt in der nebenstehenden Isometrie folgendes Ergebnis:

    1. Die Grundrisse der Gewölbe des heutigen Mittelschiffs im Überlinger Münster entsprechen dem geometrischen Entwurfsprinzip des

    ad quadratum. Die Basis war eine frei gewählte Jochlänge von 10 Ellen (5,91m)

    • Die Gewölbe der ursprünglich geplanten Seitenschiffe hatten die gleichen Grundmaße wie die des Mittelschiffs, entsprachen also ebenfalls diesen Regeln.
    • Auch die Höhen der Kirchenschiffe wurden nach diesen geometri-schen Prinzipien des ad quadratum ermittelt:
    1. Im Mittelschiff: bis zum Fußpunkt des Gewölbeanfängers je 1 x Jochlänge und Jochbreite, also 8,358m + 5,91m = 14,268m und bis zum Gewölbescheitel weitere 5,91m, also 14,268m + 5,91m = 20,178m. 
    • In den Seitenschiffen: bis zum Fußpunkt des Gewölbeanfän-gers je 1 x Jochlänge + 1 x Diagonale aus ½ Jochquadrat, also 5,91m + 6,6076m = 12,5176m, bis zum Gewölbescheitel weitere 5,91m = 18,4276m.

    Die Höhendifferenz der heute noch im Mittel- und Seitenschiff vorhandenen Gewölbeanfänger beträgt demnach 1,75m.

    (lt. Aufmaß Blatt 53 liegt der Anfänger im Mittelschiff 14,35m über FFB,

    der Gewölbescheitel 5,95m über dem Anfänger.

    lt. Aufmaß Blatt 62 liegt der Anfänger im Seitenschiff 12,50m über FFB.

    Die Differenz lt. Aufmaß 1,85m)

    Nach Aufgabe der Planung einer dreischiffigen Hallenkirche gab es einen Versuch, den Entwurfsgedanken und die ursprünglich geplante Wirkung eines hellen, lichtdurchfluteten Kirchenraumes in einer veränderten Ausführung zu retten, vermutlich vom gleichen Baumeister.

    Die niedrigeren Seitenschiffe sollten durchlaufende, flache Netzgewölbe über Mittelstützen ohne Gliederung durch Joch- und Scheidbögen erhalten.

    Ich habe deshalb auch diese Bauphase in der nebenstehenden Isometrie aufgezeichnet und untersucht.

    Die Grundrissmaße der Seitenschiffe entsprechen denen des Mittelschiffs, also ebenfalls den ad quadratum Regeln.

    Interessant sind hier die Höhenmaße.

    Die Kämpferhöhe der Mittelschiffarkade entspricht der Höhe der Gewölbeanfänger des geplanten Netzgewölbes in den Seitenschiffen.

    Wenn man das als Grundmaß verwendete Rechteck von 5,91m x 8,358m als Höhenmaß nimmt und mittig teilt in der Achse der Stützenreihe, so ergibt die Diagonale in einer Feldhälfte das Maß von 9,3445m.

    Im Aufmaßblatt 48 ist eine Kämpferhöhe für die Arkaden zwischen Mittel- und Seitenschiff von 9,33m und im Aufmaßblatt 58 eine Kämpferhöhe von 9,26m eingetragen.  

    Ich glaube, dass man daraus erschließen kann, dass mindestens die ersten beiden Bauphasen der Kirchenschiffe des Überlinger Münsters vom gleichen Baumeister und nach den Entwurfsregeln des ad quadratum erstellt wurden.

    Ob auch die Gewölbe selbst, also das Sterngewölbe des Mittelschiffs und das Netzgewölbe der Seitenschiffe nach diesen Entwurfsregeln geplant wurden, habe ich nicht untersucht.

    Carl Fahr, Dipl. Ing. Architekt BDA

    Überlingen, 2023

  • Die Baugeschichte des St. Nikolaus-Münsters in Überlingen, beschrieben und gezeichnet

    Die Baugeschichte des St. Nikolaus-Münsters in Überlingen, beschrieben und gezeichnet

                                                                           


    Das gotische St. Nikolaus-Münster in Überlingen zählt zu den größten Kirchen am Bodensee.

    Umfangreiche Sanierungsarbeiten waren zwischen 1908 und 1924 unabwendbar. Dazu mussten auch die Fundamente der Wände und Säulen freigelegt werden. Bei diesen Ausgrabungen stieß man innerhalb des Kirchenschiffs auf Grundmauern und Reste architektonischer Bauteile mehrerer bisher unbekannter romanischer Vorgängerbauten.

    Außerdem wurden bei den Sanierungsarbeiten umfangreiche und sehr detaillierte Bauaufnahmen vom gesamten Münster erstellt.

    Die durch Ausgrabung gewonnenen Erkenntnisse hat 1938 Josef Hecht beschrieben und durch eigene Aufmaß-Zeich-nungen ergänzt in seinem Buch: „Das St. Nikolaus-Münster in Überlingen, der Bau und seine Ausstattung“.

    Sie wurden auch 2008 von Alois Schneider aufgenommen in: „Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Band 34, Überlingen“.

    Diese Beschreibungen der einzelnen Bauphasen und die detaillierten Aufmaß-Zeichnungen haben mich angeregt, die Baugeschichte des Überlinger Münsters digital dreidimensional darzustellen und dabei die Entwicklung an einzelnen Stationen in die allgemeine Stadtgeschichte einzubinden.

    Carl Fahr, Dipl. Ing. freier Architekt BDA

    Überlingen, 2023

    Der Grundriss des Überlinger Münsters.

    In den Grundriss des heutigen Münsters (grau) sind farbig eingetragen die Fundamente der romanischen Vorgängerkirchen. Sie wurden bei umfangreichen Sicherungs- und Sanierungsarbeiten zwischen 1908 und 1924 freigelegt und dokumentiert.

    grün:                erster Kirchenraum um 1000

    gelb:                dreischiffige Basilika etwa Mitte 12. Jh.

    braun:              Erweiterung um Chor und Seitenkapellen Ende 13. Jh.

    rot:                   Erweiterung des Kirchenschiffs um 2 Joche nach Westen, vor Baubeginn des gotischen Chores um 1350

    St. Nikolauskapelle in Überlingen, erste romanische Bauphase

    „Der älteste Kirchenbau an dieser Stelle ist eine wohl im 10.Jahrhundert erbaute einschiffige Saalkirche ohne ausgebildeten Chor, in der Längsachse und in der Breite des heutigen Mittelschiffs“

    Archäologischer Stadtkataster Überlingen

    Diese erste Kapelle entstand vermutlich bei einer Ansiedlung nahe beim Dobelbach, der damals noch der natürlichen Topografie folgend im Verlauf der heutigen Spital- und Kronengasse lag.

    zweite romanische Bauphase

    „Die Befunde zeigen, dass im 12. Jahrhundert eine dreischiffige, flach gedeckte Säulenbasilika entstanden ist“

    Archäologischer Stadtkataster Überlingen

    Die bei Ausgrabungen gefundenen Reste von Säulen, Säulenbasen, Fensterstürzen, Bogenfriesen und Gewänden der Haupt- und Seitenportale (leider keine Reste von Kapitellen) erlauben eine ungefähre zeichnerische Darstellung des Innenraumes

    dritte romanische Bauphase

    „Ende des 13. Jahrhunderts werden die Seitenschiffe nach Osten verlängert und an den neuen, das seitherige Hauptschiff fortsetzenden, jetzt zweijochigen Rechteckchor angeschlossen.“

    Archäologischer Stadtkataster Überlingen

    Mitte des 14. Jahrhunderts, evtl. Gesamtplanung eines neuen gotischen Münsters

    1350 erhielt Eberhard Rab den Auftrag zum Bau eines neuen gotischen Münsters. Seine Gesamtplanung ist nicht bekannt. Vieles deutet aber darauf hin, dass Mittelschiff und Seiten-schiffe als Hallenkirche auf den Fundamenten der alten romanischen Basilika geplant waren. Beispielhaft im Grund-riss eingezeichnet die Frauenkirche in Esslingen, die fast gleichzeitig erbaut wurde (ab 1321 bis Ende des 14.Jh.)

    grau: der Grundriss der Esslinger Frauenkirche mit drei Kirchenschiffen und je sechs Jochen. Das Mittelschiff und die Seitenschiffe sind unterschiedlich breit und haben Kreuz-gewölbe.

    magenta: die Überlinger romanische  Basilika bis zum Abbruch 1429

    rot: die gotische Erweiterung der rom. Basilika mit Chor und Türmen zw. 1350-1440 und (hellrot) eine evtl. westliche Erweiterung der Kirchenschiffe (vorhanden sind Fundamente und Säulenbasen im romanischen Jochmaß)

    die evtl. Münsterplanung im 14. Jh. mit Bebauung und Bachlauf 

    Ansicht von Süd-Westen

    Ansicht von Nord-Osten


    die erste gotische Bauphase, 1350–1380,  Chor und Nordturm

    „die Gründungsinschrift für den Bau des heutigen Münster-chors (und des Nordturms) datiert von 1350, Verlängerung des Chors um 2 Joche sowie Ausbildung eines 5/8 Schlusses“

    Archäologischer Stadtkataster Überlingen

    die romanische Basilika lag ca.1,5m unter dem heutigen Kirchenschiff, der gotische Chor ca.0,9m darüber; ein Höhen-unterschied von ca.2,4m zwischen Chor und Kirchenschiff.

    Baubeginn des Südturms und der Chorumbau zwischen 1380-1420

    Kurz nach 1400 wurde eine Erweiterung des Chors nach Osten und der Ausbau des Südturms in Angriff genommen.

      Ulrich Knapp in 1100 Jahre Kunst und Architektur in Überlingen

    um 1400 wird zusammen mit dem Bau des Südturmes der Chor teilweise wieder abgebaut, um ein zusätzliches Joch verlängert und um ca.2,60m (8 Fuß) höher wieder errichtet. Die Chorweihe war am 16. April 1408.

    der Blick vom Kirchenschiff zum Chor z.Zt. des Konstanzer Konzils 1414 bis 1418

    Raumeindruck des Überlinger Münsters zur Zeit des Konzils.

    Diese Zeichnung zeigt den Blick aus dem noch romanischen Kirchenschiff in den neuen, höher gelegenen und noch nicht eingewölbten gotischen Chorraum

    Planänderungen ab ca. 1420 bis 1429

    1420 hatte man den Entschluss gefasst, die Bauarbeiten am Überlinger Münster wieder aufzunehmen, die ursprüngliche Planung aber nicht weiter zu verfolgen. Diese hätte einen vorherigen Abbruch der alten romanischen Kirchenschiffe notwendig gemacht. Um dies zu vermeiden, haben:

    „Bürgermeister und Rat der Stadt den Plan erwogen für einen Neubau von überraschender Kühnheit, erstaunlich vor allem nach den Ausmaßen“

    Josef Hecht

    Man plante jetzt um die romanische Basilika herum, die zunächst erhalten bleiben konnte, eine noch größere Hallenkirche als ursprünglich vorgesehen:

    drei fast gleich hohe lichtdurchflutete Kirchenschiffe mit acht Jochen und 24 gleichen Gewölbefeldern, je 10×14 Ellen (5,91×8,25m) groß, Gewölbe getragen von 14 freistehenden Säulen, die in Längsrichtung durch Scheidbögen verbunden und in Querrichtung durch Druckbalken und Zugeisen mit den mächtigen Stützpfeilern der Außenwände verankert werden sollten.

    Die geplante Hallenkirche war in ihrer Raumwirkung völlig verschieden vom Raumeindruck der alten romanischen Basilika.

    Statt der bisher geschlossenen, umhüllenden und schützenden romanischen Architektur sollte sich der neue gotische Kirchenraum über extrem breite und hohe Fenster in die Weite öffnen, den Blick in die Höhe richten, himmelwärts, in ein Firmament aus Sternengewölben.

    und dies war der neue Konstruktionsgedanke:

    1. neue Außenwände, Strebepfeiler, Säulen und Scheidbögen entstehen außerhalb der alten romanische Kirche

    2. nach Abbruch der romanischen Kirche werden die restlichen Säulen aufgestellt und in Längsrichtung durch Scheidbögen, in Querrichtung durch Druckbalken und Zugeisen mit den Strebepfeilern der Außenwände verbunden

    3. auf den Scheidbögen und Außenwänden werden die Dachstühle aufgerichtet und eingedeckt.

    4. dem Baufortschritt folgend werden unter den Dächern die vorbereiteten 24 Gewölbefelder eingesetzt.

    Erhaltene Bauteile geben Auskunft über die ehemals geplanten Außenwände, Pfeiler, Säulen, Scheidbögen und Gewölbe, nicht jedoch über evtl. Dachformen. Konstruktiv und wirtschaftlich sinnvoll wäre ein Satteldach über dem Mittelschiff mit quergestellten Satteldächern über den Seitenschiffen wie hier dargestellt (wie Elisabethkirche Marburg).

    die Raumwirkung der geplanten Hallenkirche

    Diese Zeichnungen zeigen den geplanten hohen und weiten Hallenraum, Kirchenschiffe mit sehr breiten, raumhohen Fenstern und den Blick in die Gewölbe, in ein sich himmelwärts öffnendes Firmament aus Sternengewölben.

    ca. 1420, Baubeginn der Hallenkirche

    ab 1420 wurde der Westgiebel in voller Höhe errichtet, auch die Säulen und Scheidbögen der anschließenden Joche. Die Seitenwände waren vermutlich in ihrer gesamten Länge in einer Höhe bis über den Scheitel der Portalbögen fertig gestellt, als die Baumaßnahmen eingestellt wurden.

    Der Hallenplan wird aufgegeben

    „Mit den kühnen Absichten seines Plans ist leider der Meister Hans Dietmar an den Schwierigkeiten der nur empirisch zu lösenden Aufgabe gescheitert“.  

    Josef Hecht

    um ca. 1425 eine erneute Planänderung

    Es wurde ein Versuch unternommen, die räumliche Idee mit niedrigeren Seitenschiffen zu verwirklichen. Die Giebelseiten wurden teilweise abgebrochen, die Mittelschiff-Arkaden mit Obergaden und Fenstern umgebaut und die Außenwand des nördlichen Seitenschiffs für den Anschluss an ein Netzgewölbe vorbereitet und überdacht.  

    Von dieser Bauphase sind im nördlichen Seitenschiff des Münsters in den Jochen 7+8 noch Spuren und Bauteile erhalten.

    im Joch 7+8 auf der NW-Seite wurde geplant und teilw. ausgeführt:

    1          das Mittelschiff blieb unverändert in der ursprünglichen Höhe und Breite, erhielt aber einen Obergaden mit Fenstern,

    2          die Seitenschiffe wurden in geringerer Höhe überwölbt mit einer Reihe von Mittelstützen. Sie sollten ein Netzwerk aus Tragrippen erhalten ohne trennende Scheid- und Gurtbögen.

    3          die mittigen Säulen dieser Seitenschiffe waren nicht auf den Fundamenten der romanischen Basilika geplant. Für sie mussten separate Fundamente nach Abbruch der Basilika angelegt werden.

    4          die Seitenschiffe wurden mit Pultdächern und quergestellten Satteldächern über jedem Joch eingedeckt.

    Aus dieser bisher unbekannten Planungsphase sind in den Jochen 7 und 8 des nördlichen inneren Seitenschiffs noch Spuren der ehemals ausgeführten Dächer erhalten.

    Die eingemessenen Gewölbeanfänger an den Mittelschiff-Säulen dieser Joche erlauben eine genaue Rekonstruktion der geplanten Gewölbeform. Die Gewölbeanfänger passen allerdings nicht zu den ca. 120 Jahre später eingebauten „abgeknickten“ Gewölberippen

    Diese Perspektive zeigt die Planung der Joche 7+8 mit Netzgewölben über einer mittigen Säulenreihe.

    Ausgeführt hiervon wurden die Mittelschiff-Arkade mit den Gewölbeanfängern, der Umbau der Giebelwand, die Nordfassade mit gotischen Fensterbögen sowie die Dächer über diesen beiden westlichen Jochen, nicht jedoch die geplanten Mittelsäulen und Gewölbe.

    die Raumwirkung dieser veränderten Hallenplanung

    Diese Zeichnungen zeigen die geplanten Änderungen in den Seitenschiffen. Die Gewölbefelder zwischen der Mittelschiffarkade und der Außenwand sind gegliedert durch eine Säulenreihe aber ohne trennende Scheid- und Gurtbögen

    aber auch diese Planung wurde wieder aufgegeben

    Vor 1429 wurde dann aber unter diesen Dächern, evtl. als „Musterachse“, eine weitere Arkade eingebaut. Sie lag in der Flucht der Außenwand der alten romanischen Basilika.

    So entstanden zwei ungleich breite, in der Höhe gestaffelte Seitenschiffe.

    Diese „Muster-Bauteile“, besonders die freistehenden Arkaden, wurden konstruktiv durch breite Gurtbögen gesichert, vermutlich wetter-fest geschlossen und als Bauhütte verwendet.

    1429 war die romanische Basilika abgebrochen, der Bau einer Hallenkirche wurde endgültig aufgegeben, eine gotische Basilika entstand:

    Wie in den nordwestlichen Jochen als „Muster“ vorgegeben, wurde ab 1429, beginnend an Chor und Türmen, mit dem Bau des gotischen Münsters begonnen. Über den Fundamenten der romanischen Basilika wurden die neuen Arkaden mit Obergaden und Fenstern für eine fünfschiffige Basilika errichtet.

    Die fertig gestellten Bauteile wurden mit einem Satteldach gedeckt und provisorisch gegen die Baustelle geschlossen, vermutlich zunächst nur die ersten sechs Joche.

    1436 waren die Geldmittel erschöpft.

    Bis 1440 wurde noch der Südturm bis zum 3. Geschoß fertiggestellt. 1444 wurde die Osanna-Glocke (6,8t, d=1,98m) gegossen und im Glockenstuhl des Südturms aufgehängt, der anschließend seine bis heute „provisorische“ hölzerne Haube erhielt

    ab 1470, Einbau der Seitenkapellen

    ab 1470 wurden zwischen den Strebepfeilern, beginnend auf der Südseite, Kapellen eingebaut, auf der Nordseite zunächst nur in den ersten beiden Jochen.

    1494 wurde der Nordturm um drei Stockwerke erhöht und erhielt ein Viergiebeldach.

    Das Problem der Belichtung

    Der Einbau der Seitenkapellen und die dadurch entstehende Gebäudebreite von fast 34m führte besonders im Mittelschiff des Münsters zu sehr großen Belichtungsproblemen.

    ab 1512, Umbau der Dächer und Einbau der Gewölbe


    Gutachten mehrerer Zimmerleute machten 1512 den Vorschlag, das gewaltige Satteldach umzubauen, die Fenster des Mittelschiff-Obergadens frei zu legen, die Seitenschiffe mit einem Pultdach zu versehen und so die Belichtungsprobleme des Mittelschiffs zu beheben.

    Mit dem Dachumbau wurde wieder auf der Südseite begonnen, dann folgten die ersten drei Joche auf der Nordseite.

    Die Pultdächer wurden allerdings so hoch am Obergaden angesetzt, dass die untere Hälfte der Fensterfläche zwischen dem Maßwerk zugemauert werden musste.

    Zwischen 1544 und 1555 wurden die restlichen Kapellen auf der Nordseite eingebaut, der Umbau der Dächer in den Jochen 4 bis 8 weitergeführt und abgeschlossen.

    50 Jahre Gewölbeeinbau 1512-1562

    Ab 1512 wurde mit dem Gewölbeeinbau begonnen.

    Die Arbeiten dauerten mit Unterbrechungen ca. 50 Jahre.

    Die Anfänger der Gewölbe waren bereits mit dem Aufbau der Wände, Säulen, Arkaden und Obergaden eingesetzt worden. Auf ihnen wurden jetzt die Gewölberippen und -kappen aufgebaut.

    1562 war mit der letzten Vierung im 8.Joch des Mittelschiffs der Gewölbeeinbau vollendet.

    3 Gewölbearten finden wir im Überlinger Münster: Kreuz-, Stern- und Netzgewölbe.

    Sie sind im Grundriss mit den ungefähren Einbaudaten bezeichnet. Die Gewölbe wurden teilweise mehr als 100 Jahre zuvor durch den Einbau der zugehörigen Gewölbeanfänger vorbereitet. Dies betrifft z.B. die Gewölbe im Chorraum, deren Anfänger bereits ab 1350 durch den Meister Eberhard Rab eingebaut wurden.

    Planänderungen bedeuteten für die Ausführung der Gewölbeanschlüsse eine besondere Herausforderung. Dies betraf im Überlinger Münster besonders das Aufsetzen der Gewölberippen in den Jochen 7 und 8 des nördlichen inneren Seitenschiffs auf die Gewölbe-Anfänger, die ursprünglich für eine völlig andere Gewölbeform vorgesehen waren und führte zu formalen Brüchen, die sich deutlich am Übergang der obersten Steinschicht der alten Gewölbeanfänger (vor 1429) zu den aufsteigenden Gewölberippen (ca.1560) abzeichnen.

    Auch eine Besonderheit des Gewölbebaus finden wir im Überlinger Münster: Schlingrippen-Gewölbe.

    Diese Spielform des spätgotischen bzw. des Renaissance-Gewölbebaus waren ursprünglich in den Jochen 6, 7 und 8 des südlichen inneren Seitenschiffs sowie in der Vorhalle des Süd-West-Portals vorhanden. Sie wurden vermutlich in den letzten Jahren der Überlinger Münsterbauzeit eingefügt und bei der Sanierung 1908-1924 in den Jochen 7 und 8 durch Sterngewölbe ersetzt.

    eine Zeichnung des Überlinger Münsters, eingebettet in der Enge mittelalterlicher Bebauung

    die Nordwest-Ecke des Münsters (rechts in der Zeichnung) war bis 1888 zusammengebaut mit der Außenwand der ehemaligen Probstei   

    die Südwest-Ecke des Münstergiebels verläuft bis heute schräg entlang der Grundstücksgrenze des ehem. Beginenhauses, genannt „auf dem Bogen“, bis 1928 Gasthaus „zur Hölle“, heute Münsterstraße 13

    1547 erhielt das Westportal eine Vorhalle, 1563 wird der Bau besichtigt: „ob er werschafft gemacht oder nit“ und die„stainhütten uf dem Kürchhove„ abgeräumt.

    Archäologischer Stadtkataster Überlingen

    Umbauten und Ergänzungen nach der Bauabnahme in den folgenden Jahrhunderten

    11 Jahre nach Abschluss des Kirchenbaus wurde 1574-1576 das Viergiebeldach des Nordturms abgebrochen und durch ein Oktogon mit welscher Haube ersetzt.

    1586 wird in die Vorhalle des Westportals zur Erschließung der Empore und der Dachräume oberhalb der Gewölbe des Mittelschiffs eine Wendeltreppe eingebaut.

    1887 wird eine hölzerne Empore abgebrochen und durch die heutige Orgelempore mit einer neogotischen Sandsteinbrüstung ersetzt.

    Diese Schnittbilder zeigen die Wendeltreppen, die von der Vorhalle zur Orgelempore und weiter hinauf in den Dachstuhl über dem Mittelschiff führen.

    Ergänzungen des 19. Jh. im Stile der Neogotik

    Von 1838 bis1841 sind die Strebepfeiler der Nord- und Südfassaden saniert und durch neugotische, aufgesetzte Fialen ergänzt worden.

    1887 wurde die hölzerne Empore im letzten Joch der Kirchenschiffe abgebrochen und durch die heutige Empore mit einer Sandsteinbrüstung ersetzt.

    1888 ist die Nord-Westseite des Münsters durch Abbruch der sog. Probstei freigelegt worden. Bei der Sanierung der Giebelwand wurden zur Fassadengliederung auch hier Strebepfeiler mit Fialen vorgeblendet.

    Um 1900 gab es Bestrebungen, durch gotische Zierformen den Westgiebel und die breiten Pultdächer über den Seitenschiffen zu gliedern, besonders aber durch den Umbau der Türme das Äußere des Münsters „stilgerecht zu gotisieren“.

    Am 13. August 1939 setzte eine bengalische Beleuchtung zum Seenachtsfest den Turmhelm des Nordturms in Brand.

    1951 wurden Oktogon und oberstes Geschoss des Nordturms abgetragen und in Betonbauweise neu errichtet

    .

    das Münster heute im Überlinger Stadtbild

    „Der barocke Turmabschluss war „den Stilpuristen schon immer ein Gräuel. Aber die Überlinger haben sich an den Anblick der stilwidrigen Laterne längst gewöhnt.“ So erhielt „Die Silhouette … durch einen launischen Einfall ihren prägnantesten Zug“

                 Josef Hecht 1938 in: „St. Nikolaus-Münster in Überlingen“

  • Überlinger Münster, 1420 – 1429, ein entscheidendes Jahrzehnt

    Überlinger Münster, 1420 – 1429, ein entscheidendes Jahrzehnt

          

       

    1420 – 1429, ein Jahrzehnt, das die Baugeschichte des Überlinger Münsters entscheidend prägte                                                                      

    Im Jahr 1350 erhielt Eberhard Rab aus Franken vom Rat der Stadt Überlingen den Auftrag zum Bau eines neuen gotischen Münsters. Zunächst sollte nur die alte romanische Basilika durch einen neuen Chor mit zwei flankierenden Türmen erweitert werden. Zum Neubau des Münsters muss es aber mit Sicherheit eine Gesamtplanung gegeben haben. Von dieser sind bisher weder Dokumente noch Zeichnungen bekannt.

    1900 veröffentlichte der erzbischöfliche Baudirektor Max Meckel eine Studie zur Entstehung des Münsters. Er vermutete, dass es vor 1350, also noch vor der Beauftragung von Eberhard Rab eine erste dreischiffige gotische Vorgängerkirche gegeben haben müsse.

    Meckel kannte allerdings nicht die erst nach 1908 durch Grabungen aufgedeckten romanischen Vorgängerbauten. Und diese Grabungen zeigen, dass es nach den romanischen Bauperioden im Bereich der Kirchenschiffe keine Bautätigkeit gab bis zum Baubeginn der drei-schiffigen gotischen Hallenkirche ab 1420.

    Dieser Grundriss zeigt die einzelnen Bauphasen der romanischen Basilika, die zwischen 1908 und 1924 bei Ausgrabungen im Überlinger Münster entdeckt und eingemessen wurden.

    Die Überlegungen Meckels beruhten auf folgenden baulichen Unstimmigkeiten:

    1. der Anschluss der heutigen gotischen Kirchenschiffe an Türme und Wendeltreppe konnte nicht der ursprünglichen Planung des Eberhard Rab entsprochen haben,

    2. die Strebepfeiler beider Türme ragen störend in die heutigen äußeren Seitenschiffe hinein

    In seiner Zeichnung von 1900 vermutet Meckel als Vorgängerkirche eine 3-schiffige und 6-jochige Hallenkirche mit einem 2-jochigen Chorraum und 5/8 Abschluss, flankiert von einem 4-geschossigen Nordturm. Dieser Turm entspricht in Größe und Gestaltung den unteren 3 Geschossen des heutigen Nordturms. Das Glockengeschoss darüber und der Turmhelm sind in ihrer Gestaltung anders als ihre heutige Ausführung. Der Chorraum entspricht dagegen in Ausformung und Größe tatsächlich dem durch Ausgrabungen nachgewiesenen und zunächst auch ausgeführten verkürzten Chorraum.

    Die Höhe des Mittelschiffs war nach Meckels Ansicht auf die Höhe des Triumphbogens abgestimmt. Dieser ist jedoch sehr niedrig, da er die Deckenhöhe der romanischen Basilika aufnehmen musste. Und deren Fußboden lag nach Kenntnis der Ausgrabungen ca. 2,40m unter dem Boden des heutigen, neuen gotischen Chorraumes. Daher die sehr gedrungen wirkende Höhenentwicklung der Zeichnung Max Meckels.

    Grundriss und Schnittzeichnung von Max Meckel, um 1900

    Das gesamte Erscheinungsbild seiner Zeichnungen entspricht m. E. dem mittelalterlichen Kirchenbau einer noch kleinen Gemeinde im Bodenseeraum.

    Die ursprüngliche Gesamtplanung des Eberhard Rab kann vielleicht eher mit der Frauenkirche in Esslingen verglichen werden, ebenfalls eine Hallenkirche, Baubeginn 1321, also ca. 30 Jahr vor Überlingen.

    In diesem Plan ist die letzte romanische Bauphase des Überlinger Münsters und die gotische Erweiterung mit Chorraum und Türmen durch Eberhard Rab (magenta und rot) zusammengezeichnet mit dem Grundriss der dreischiffigen Esslinger Frauenkirche (grau), sechs Joche mit Kreuzgewölben wie auch in der Zeichnung von Max Meckel

    Diese Innenansicht der Esslinger Frauenkirche vermittelt sehr gut die Raumwirkung einer hohen, Licht durchfluteten Hallenkirche, wie sie vermutlich auch in Überlingen geplant war.

    Vieles deutet darauf hin, dass Eberhard Rab 1350 das neue gotische Münster auf den Fundamenten der alten romanischen Basilika geplant hatte. Bis 1380 waren von seiner Planung die unteren 3 Geschosse des Nordturmes und Teile des Chorraumes fertiggestellt worden. Danach wurde der Chorraum nochmals geändert. Er wurde ab ca.1400 mit Beginn der Arbeiten am Südturm um ein Joch verlängert und 8 Fuß (ca. 2,60m) höher wieder aufgebaut. Die Chorweihe war 1408. Die Arbeiten am Südturm wurden 1444 nach dem Guss und Einbau der Osanna-Glocke mit einer provisorischen Turmhaube beendet.  

    so ähnlich mag die bauliche Situation des Münsters und seine nähere Umgebung nach Fertigstellung und Weihe des Chores 1408 und noch während des Konstanzer Konzils 1414-1418 gewesen sein.

    1420 stand man vor einer schwierigen Entscheidung:

    Um, wie geplant, mit dem Neubau der gotischen Kirchenschiffe über den Fundamenten der alten romanischen Basilika beginnen zu können, musste diese vorher abgebrochen werden.

    In dieser Situation entstand vermutlich der Gedanke, eine weit größere Kirche als ursprünglich geplant mit neuen Außenmauern außerhalb der bestehenden romanischen Basilika zu bauen und sie dadurch während der Bauarbeiten für lange Zeit erhalten zu können.

    Man plante eine 3-schiffige Hallenkirche mit 24 Gewölbejochen. Die Geometrie der 24 Gewölbejoche, ermittelt aus der Quadrat-Diagonalen, √2=1,41 oder ca.10×14 Fuß (lt. Aufmaß 5,91x 8,37m).

    Der Vorteil dieser neuen Planung war:

    • das romanische Münster mit seinem neuen gotischen Chor konnte über lange Zeit weiterhin in seiner vollen Größe für Gottesdienste genutzt werden.
    • die neuen Fundamente für Außenmauern und Strebepfeiler wurden ohne Beeinträchtigung bestehender Gebäudeteile außerhalb des romanischen Kirchenschiffs gegründet und darüber Seitenwände und Westgiebel mit mächtigen Strebepfeilern errichtet.
    • über den Säulen lagen in Längsrichtung Scheidbögen. Sie wurden in Querrichtung bis zu den Strebepfeilern ausgesteift durch Druckbalken und Zugeisen. Sie bildeten als Brücke die tragfähige Auflage für ein Satteldach über dem Mittelschiff und für quergestellte Satteldächer über den Seitenschiffen. Die Höhe der Scheidbögen (8 Fuß / 2,60m) bildete das Gefälle zur Regen-Wasserableitung zwischen den einzelnen Dachflächen. (vermutete Dächer ähnlich Marburg)
    • Säulen, Scheidbögen, Dachstühle, Gewölbe etc. konnten von Stein-metzen und Zimmerleuten unabhängig vom Baufortschritt vorbereitet werden, um sie nach Abbruch der romanischen Basilika im Inneren der Baustelle über den dann freien Fundamenten des romanischen Mittelschiffs zu errichten.
    • ohne Beeinträchtigung der Kirchennutzung konnte man den Baufortschritt der Leistungsfähigkeit der Bauhütte und der Finanzierbarkeit anpassen.

    Ob dies bereits ein Vorschlag des Münsterbaumeisters Hans Dietmar war, der von 1425 bis 1436 in Überlingen unter Vertrag stand, ist unklar.

    Diese Zeichnungen sollen die geplanten Arbeitsschritte verdeutlichen:

    1. die alte romanische Basilika liegt inmitten der Baustelle der gotischen Hallenkirche. Fertiggestellt sind die Außenwände mit Strebepfeilern, zwei westl. Joche mit zwei Halb- und vier Rundsäulen und die Scheidbögen, über Zug- und Druckbalken verbunden mit den Außenwänden. Die Scheidbögen nehmen die niedrigere Höhe der Seitenschiff-Gewölbe auf

    2. nach Abbruch der Basilika werden über den alten Fundamenten die restlichen 10 Rund- und 2 Halbsäulen mit den sie verbindenden Scheidbögen errichtet und ebenfalls quer mit Zug- und Druckbalken untereinander und zu den Stützpfeilern verstrebt.

    3. die Scheidbögen tragen ein Satteldach über dem Mittelschiff. Die sinnvollste Überdeckung der Seitenschiffe sind quergestellte Satteldächer über jeweils 2 Jochen mit zwischenliegenden Pultdächern zur Regenwasser-Ableitung.  

    4. Nach Aufrichten der Dächer können zeitunabhängig die 24 gleichen Sterngewölbe eingebaut werden.

    Die Bauarbeiten wurden eingestellt, die Hallenplanung aufgegeben.

    Nach den Beschreibungen muss der Giebel etwa in voller Höhe fertiggestellt gewesen sein, als die Baumaßnahme eingestellt wurde; die Seitenwände bis über Fenstersims-höhe und die Ostportale bis über den Bogenscheitel. Datum und Begründung des Baustopps sind unbekannt. Vielleicht waren Setzungen die Ursache, denn die westlichen Teile der Außenwände, besonders die hohe Giebelwand, liegen im Schwemmgebiet des ehemaligen Espach-Flusslaufs.

    Josef Hecht schreibt dazu in „das St. Nikolaus-Münster in Überlingen“:

    „Mit den kühnen Absichten seines Plans ist leider der Meister Hans Dietmar an den Schwierigkeiten der nur empirisch zu lösenden Aufgabe gescheitert“.  

    Es muss sehr schmerzlich gewesen sein, diese großartige architektonische Raum-Idee eines hohen, lichtdurchfluteten Kirchenraumes unter einem Firmament aus Sternen-gewölben auf schlanken himmelwärts strebenden Säulen wegen konstruktiver, statischer Probleme aufgeben zu müssen.

    Verständlich daher, dass nach dem Scheitern dieser Hallenplanung ein Versuch unternommen wurde, die räumliche Vision wenigstens in einer veränderten Form, mit niedrigeren und unterteilten Seitenschiffen auszuführen.

    Zu dieser Planungsphase gehören die heute noch erhaltenen Gewölbe–anfänger an den Säulen der Joche 7 und 8 zwischen dem Mittelschiff und dem inneren nördlichen Seitenschiff.

    Diese Umplanung des Meisters Hans Dietmar war:

    1.         das Mittelschiff wird in seiner ursprünglich vorgesehenen Höhe und Breite beibehalten

    2.         die Seitenschiffe werden in geringerer Höhe mit einem gleichmäßigen Netzgewölbe überwölbt

    3.         die Gewölbelast wird auf einer Reihe von Mittelstützen abgesetzt.

    4.         in den Seitenschiffen gibt es keine trennenden Scheid- und Gurtbögen. Dadurch wird ebenfalls eine helle, weite, räumliche Hallenwirkung erzielt.

    Dieser Blick auf die geplanten Gewölbe zeigt die erneute Änderung.

    An den nördlichen Mittelschiffsäulen der Joche 7+8 sind Gewölbeanfänger erhalten, aus denen diese Gewölbe rekonstruierbar sind. Im Giebel und in einer Scheidwand zeigen erhaltene Bauspuren, dass über den Seitenschiffen Pultdächer mit querstehenden Satteldächern geplant und in den nördlichen Jochen 7+8 auch bereits ausgeführt waren.  

    Querschnitt der neuen Planung

    Die Planänderung in Überlingen erinnert an eine ähnliche Entwicklung beim Bau des Ulmer Münsters.

    1377 ebenfalls als dreischiffige Hallenkirche begonnen, wurde in Ulm 1392 das Mittel-schiff erhöht, sodass ein Kirchenraum mit basilikalem Querschnitt entstand.

    1494 bestand in Ulm in den Seitenschiffen akute Einsturzgefahr, sodass man sie mit einer zusätzlichen Säulenreihe unterteilte, wie dies auch in Überlingen geplant war.

    Ein Bild aus dem Seitenschiff des Ulmer Münsters

    Aus den im Überlinger Münster erhaltenen Gewölbeanfängern lässt sich die Planung eines zweischiffigen Netzgewölbes rekonstruieren.

    Diese Planungsphase muss zwischen 1420, dem Baubeginn der großen Hallenkirche und noch vor 1429, dem Baubeginn der 5-schiffigen Basilika gelegen haben. Die Zeichnung verdeutlicht die Vergleichbarkeit der geplanten Konstruktionssysteme und Raumwirkungen in Ulm und Überlingen.

    Rekonstruktionszeichnung des Seitenschiffs im Überlinger Münster

    Diese Zeichnung zeigt nochmals die beiden nordwestlichen Joche im Seitenschiff.

    Nach den erhaltenen Bauspuren war der Nordwestgiebel, die Außenwand der Joche 7+8 und die Überdachung in der hier dargestellten Form bereits umgebaut, nicht jedoch die Netzgewölbe und die sie tragenden Mittelsäulen.  Noch während dieser Bauphase wurden aber erneut Planänderungen vorgenommen, die zu einer vollständigen Abkehr von der bisher geplanten Hallenkirche führten zu einer 5-schiffigen, in Breite und Höhe gestaffelten basilikalen Raumform.    

    Diese erneute Änderung ist hier dargestellt:

    statt der geplanten mittigen Säulenreihe wurde nun unter den vorhandenen Dächern in den Jochen 7+8 eine weitere Arkade mit Obergaden und Fenstern in der Flucht der Außenwand der alten romanischen Basilika eingebaut. Beide Arkaden wurden gegen Ende dieser Bauphase statisch konstruktiv durch den Einbau von kräftigen Gurtbögen gesichert.

    Dieser Schnitt zeigt die Planung und Ausführung zwischen 1429 und 1436. Er verdeutlicht den basilikalen Querschnitt der neuen Planung:

    ein breites und hohes Mittelschiff – wie bisher – und die in ihrer Höhe und Breite gestaffelten Seitenschiffe. (die Gewölbe wurden erst später und nach weiteren Änderungen eingebaut)

    Die Planung einer Hallenkirche wird endgültig aufgegeben.

    Vermutlich hatten die beiden nördlichen Joche 7+8 als Musterachsen und Bauhütte gedient, bevor man sich zu einer grundsätzlichen Planänderung entschloss.

    Die bisherige Planung einer hohen, Licht durchfluteten Hallenkirche wurde aufgegeben zugunsten einer 5-schiffigen Kirche in der bewährten traditionellen basilikalen Raumform.

    Mit dieser Änderung der geplanten Raumform wurden aber auch die bauökonomischen Vorteile aufgegeben:

    1.         Die vier eingefügten Arkaden und Obergaden ergaben eine viel größere Baumasse, höhere Kosten für Material, Transport und Arbeit etc. und auch eine längere Bauzeit als zunächst geplant.

    2.         Auch die ursprüngliche Absicht, zuerst die Außenwände fertig zu stellen, dann die romanische Basilika abzubrechen um die restlichen 10 Säulen aufstellen zu können und danach die Dächer zu errichten, war so nicht möglich. Der Abbruch der romanischen Basilika war jetzt Voraussetzung für den Baubeginn.

    1429 wurde die romanische Basilika abgebrochen. Danach wurde mit den Baumaßnahmen im Osten im Anschluss an den Chorraum und die beiden Türme begonnen.

       

    Über den Fundamenten des Mittelschiffs und der Außenwände der ehemaligen romanischen Basilika wurden die neuen gotischen Arkaden des Mittelschiffs und der inneren und äußeren Seitenschiffe errichtet, wie dies bereits zuvor in den beiden westlichen Jochen 7 und 8 ausgeführt worden war.

    Für die niedrigeren äußeren Seitenschiffe mussten die Außenwände geändert werden. Die Fensterbreite mit den Fenstergewänden blieben vermutlich erhalten, über der bisherigen Kämpferhöhe war aber der ursprünglich geplante gotische Bogenabschluß wegen der niedrigeren Gewölbehöhe nicht mehr möglich sondern nur noch ein flacher Stichbogen oder „Tudorbogen“. 

    Dem Baufortschritt entsprechend wurden die Kirchenschiffe mit einem riesigen Satteldach überdeckt, dessen Spuren an den beiden Türmen heute noch ablesbar sind.  

    Die folgende Gegenüberstellung zeigt die entscheidenden Entwicklungen der Überlinger Münsterplanung innerhalb nur eines einzigen Jahrzehnts.

    Statt des Urplans von Eberhard Rab:

    1. Umplanung, nach 1420, eine Hallenkirche mit drei gleich hohen Kirchenschiffen

    2. eine niedrigere Halle, vor 1429, ein in seiner Hallenwirkung ähnlicher Kirchenraum mit niedrigeren Seitenschiffen, teilweise Ausführung auf der Nordseite vor 1429   

    3. Ende der Hallenplanung 1429, jetzt eine 5-schiffige Basilika, (ab 1470 noch zusätzliche Seitenkapellen zwischen den Strebepfeilern)

    Ausgehend vom ursprünglichen Entwurf des Eberhard Rab wurde die Planung zwischen 1420 und 1429 dreimal verändert.

    Zuerst die geplante Erweiterung des Hallenraumes, mit dem Ziel, noch eine Zeit lang während der Bauphase die romanische Kirche nutzen zu können. Dann der Versuch, die architektonische Raumidee der hohen, von Licht durchfluteten Kirchenschiffe in einer veränderten und den statisch konstruktiven Erfordernissen angepassten Form zu erhalten. Als auch diese Arbeiten wieder eingestellt wurden, eine erneute Umplanung. Die Hallenidee wurde aufgegeben, man kehrte zum basilikalen Kirchenraum zurück.  

    Warum wurden die Hallenplanungen endgültig aufgegeben, warum ist man zu der basilikalen Raumform zurückgekehrt? Waren es nur die statisch-baukonstruktiven Risiken an diesem Ort? Waren es evtl. auch andere ideologische, weltanschauliche, theologische Gründe. Der geplante weite, offene, helle Raum gegen die Mystik einer vertrauten romanischen Basilika?

    Nach 1429, nach dem Abbruch der romanischen Basilka, wird mit dem Neubau einer gotischen Basilika im Anschluß an Chor und Türme begonnen. Es entsteht jetzt eine 5-schiffige Basilika in einer anderen Raumidee, in einer von der bisherigen Planung völlig abweichenden Architektursprache:

    • fünf in der Höhe stark abgestufte und von Scheidwänden mit Obergaden getrennte Kirchenschiffe, achsial in West-Ost-Richtung auf Chor- und Altarraum bezogen.                                                      
    • alle Kirchenschiffe zunächst von einem gemeinsamen Satteldach überdeckt, das keine Belichtung über die Obergaden-Fenster zuließ. In den inneren Kirchenschiffen muß es sehr dunkel gewesen sein, ein völliger Gegensatz zu früheren Planungs-absichten.

    Nichts erinnerte mehr an die Entwurfsidee: an einen hohen, lichtdurchfluteten Kirchenraum unter einem Firmament aus Sternengewölben, auf schlanken himmelwärts strebenden Säulen.

    Die Planänderungen zwischen 1420 und 1429 haben die 200-jährige gotische Phase der Münster-Baugeschichte entscheidend geprägt.

    1436 wurde der Vertrag mit dem Münsterbaumeister Hans Dietmar nicht verlängert, er bewarb sich in Esslingen. Was war der Grund: Waren es nur finanzielle Nöte der Stadt, wie Hecht schreibt? Oder war es nicht auch seine Enttäuschung darüber, dass er seine Ideen in Überlingen nicht hatte realisieren können?

    Carl Fahr, 2020 / 2023

                                                                     

  • Das Geheimnis der geknickten Rippen

    Das Geheimnis der geknickten Rippen

    „das Geheimnis der geknickten Rippen und die Entdeckung einer bisher unbekannten Bauphase in der Baugeschichte des Überlinger Münsters“

    Carl Fahr

    Den meisten Besuchern des Überlinger Münsters wird dieser Fehler im Gewölbe, von dem hier die Rede ist, niemals aufgefallen sein. Zu vielfältig sind die Eindrücke von Größe, Erhabenheit und Schönheit des gotischen Überlinger St. Nikolaus Münsters und seiner Kunstwerke, um dieses Detail zu bemerken.

    In einer Beschreibung zur Baugeschichte des Überlinger Münsters von Josef Hecht aus dem Jahr 1938 hatte ich gelesen, dass man gegen Ende der Münsterbauzeit, so etwa um 1550,

    „nach Erneuerung der Scheidbögen und Obermauern …. alte Werkstücke, namentlich Anfänger“…. 

    verwendete, die nicht zu den darauf aufsetzenden Gewölberippen passten. Auch spätere Baubeschreibungen übernahmen teilweise diese Darstellung.

    Der Hinweis von Josef Hecht hatte mich aber erst auf diese Gewölbefehler aufmerksam gemacht, auf die „alten Werkstücke, namentlich Anfänger“, die wir auf der Nordseite in den Jochen 7 und 8 in der Arkade zwischen dem Hochschiff und dem inneren Seitenschiff finden:

    1. an der Halbsäule gegen die Giebelwand über der Empore, 2. an der Säule der Empore zum Kirchenschiff und 3. an der nächsten Säule zwischen Joch 7 und 6, die durch einen breiten Gurtbogen gegen die Arkade zwischen dem inneren und äußeren Seitenschiff abgestützt ist.  

    Außerdem schreibt Hecht, dass man, um diese alten Werkstücke einzubauen, nicht nur „die Scheidbögen und Obermauern“ über der Arkade zwischen den Seitenschiffen, sondern auch „die Scheidbögen im Innenschiff selbst“ abbauen und neu errichten musste.

    Da aber zu diesem Zeitpunkt (ca.1550) auch das gesamte Münster lt. Hecht bereits überdacht gewesen sein soll – mit einem Satteldach über dem Mittelschiff und Pultdächern über den Seitenschiffen – so hätten auch diese Dächer wieder teilweise abgebrochen werden müssen.

    Dieser riesige Aufwand für unpassende Bauteile nach einer ca. zweihundert-jährigen Bauzeit? Ich suchte nach einer Erklärung, nach einer Möglichkeit, aus den erhaltenen und hier angeblich nachträglich eingebauten Gewölbeanfängern nicht nur den ursprünglich geplanten Verlauf der Rippen sondern auch ein vollständiges, geplantes Gewölbefeld rekonstruieren zu können.

    Von dieser Suche möchte ich hier berichten.

    Der abgeknickte Rippenverlauf an den drei Gewölbeanfängern der Joche 7 und 8 im inneren nördlichen Seitenschiff ist augenfällig.

    Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber noch eine weitere Besonderheit:

    Die Rippen wachsen hier nicht zentral aus einem Kapitell sondern schließen radial und tangential an den Säulen an.

    hier in einer Zeichnung dargestellt der Unterschied der Gewölbeanfänger:

    Gewölbe über Anfängern, die zentral aus einem Kapitell aufsteigen, haben als seitliche Begrenzung eine Wandfläche oder einen Scheidbogen. Sie bilden mit den anschließenden Wandflächen oder Scheidbögen ein klar ablesbares „Kirchen-Schiff“.

    Allseitig radial, tangential an einer Säule anschließende Gewölberippen bilden dagegen eine völlig andere Gewölbe- und Raumform ohne strenge optische, längsge-gerichtete Gliederung des Raumes durch Scheidbögen oder Obergaden in einzelne „Kirchen-Schiffe“.

    Bei den drei hier zu untersuchenden Gewölbeanfängern handelt es sich offensichtlich um einen Wechsel zwischen diesen beiden unterschiedlichen Raum- und Gewölbeformen.

    Aber davon später.

    Zu einer Rekonstruktion der Gewölbe, für die ursprünglich diese Gewölbeanfänger geplant waren, wurde zunächst ein genaues Aufmaß der erhaltenen Rippenteile über dem tangentialen Rippenansatz an der Säule – dem „Kämpfer“- erforderlich. Daraus würden sich Richtung und Bogenradius – die Spannung – der geplanten Rippen ermitteln lassen.

    Es ging dabei um drei Rippen, in den folgenden Konstruktionszeichnung farblich unterschieden dargestellt:

    zwei führen in das Innere des heutigen Sterngewölbefeldes, eine verläuft als Gurt quer zum Kirchenschiff und ist außerdem als Wandrippe bis zum Giebelfenster des inneren Seitenschiffs erhalten.

    An der siebten Säule der nördlichen Mittel-schiff-Arkade wurden die Anfangspunkte der Rippen (Kämpfer) und die Knickpunkte an den Rippen genau eingemessen.

    Aus diesen Daten sollte der weitere Rippenverlauf und die ursprünglich geplanten Gewölbe in dreidimensionalen Zeichnungen rekonstruiert werden.

    Dies ist der Grundriss der Joche 7+8 der nördlichen Seitenschiffe, noch bevor zwischen den Strebepfeilern die heutigen Kapellen und das Nordwest-Portal eingebaut wurden

    Ich habe die Richtungen der eingemessenen Rippen eingetragen. Es ist bei keiner der diagonalen Rippen eine Korrespondenz zu der gegenüberliegenden Arkade zwischen den beiden Seitenschiffen zu erkennen

    • gelb:    die Gurtrippen laufen quer zur Schiffsrichtung, ebenso die Wandrippen am Giebel,
    • grün:   diese Rippen überspannen schräg den Raum unter einem Winkel von 32,14° zur Gurtrippe.
    • rot:      unterhalb des Scheidbogens steigen diese Rippen aus den Mittelschiffsäulen auf mit 35.38° zur Schiffs-Längsachse

    Aus den eingemessenen Richtungen und Spannungen (Bogenmaß / Spannweite) ergeben sich die in dieser Zeichnung eingetragenen Rippenbögen. Auch in dieser 3D-Zeichnung lässt sich bei allen eingemessenen Rippenbögen kein Bezug zu der Arkade zwischen den beiden Seitenschiffen ablesen.

    Eine Ergänzung und Spiegelung der drei Rippenachsen lässt aber bei den grün gezeichneten Rippen eine deutliche Korrespondenz mit der Außenwand der ursprünglich geplanten dreischiffigen Hallenkirche erahnen. Ebenso evtl. ein Netzgewölbe, wie im folgenden Grundriss dargestellt.  

    Die in dem folgenden Grundriss dargestellte mögliche Gewölbeform zeigt ein Netzgewölbe mit Rippen, die von drei verschiedenen Gewölbeanfängern ausgehen:

    • an der Mittelschiffarkade: einseitig radial tangential und den Scheidbogen der Arkade durchdringend
    • in der Mittelachse: allseitig radial tangential aus freistehenden Säulen aufstrebend
    • an der Außenwand: zentral aus einem Kapitell oder Dienst aufstrebend

    im Folgenden wird die Rekonstruktion der Gewölbe in 3-dimensionalen Zeichnungen der einzelnen Gewölberippen dargestellt.

    In dieser Zeichnung erkennt man:

    Die sogen. Spannung, das Bogenmaß der quer zur Schiffrichtung verlaufenden Gurtrippen, ist nicht groß genug zur Überbrückung des Raumes zwischen der Mittelschiffarkade und der Außenwand. Eine Unterteilung in zwei gleich große Bögen der Gurt- bzw. Wandrippen mit einem Auflager in Raummitte ist erforderlich.

    Für dieses Auflager habe ich Säulen (blau dargestellt) in der Stärke der heutigen Säulen der Seitenschiffarkaden (rot) angenommen. Sie liegen im Kreuzungspunkt von Mittelachse (längs) und Jochachsen (quer).

    Auch das Bogenmaß der diagonal den Raum überspannenden Rippen (grün) reicht nicht bis zu den Diensten oder Kapitellen an der Außenwand. Ein flacher Verbindungsbogen zwischen den beiden aus den Gewölbeanfängern aufsteigenden Rippen ist notwendig.

    Der Übergangspunkt der unterschiedlichen Radien liegt in der Raummitte über der Mittellinie zwischen den Säulen der Mittelschiffarkade (rot) und den neuen Säulen (blau).

    Durch Drehung bzw. Spiegelung lassen sich aus den Mittelsäulen aufsteigende Rippen gleicher Spannung (grün) ermitteln, die statisch zur Abstützung des Knotenpunktes notwendig sind.

    Die Konstruktion der mittleren Verbindungsrippe zwischen den beiden Knotenpunkten zeigt die nächste Zeichnung

    Der Übergang der aus dem Gewölbeanfänger steil aufsteigenden Rippe zu der weiterführenden, sehr flachen Verbindungsrippe (blau) muss ohne Knick, d.h. tangential verlaufen.

    Die gesamte Länge des Rippenbogens lässt sich aus dem Grundriss ermitteln. Ebenso der Abstand (2.31m) des Übergangspunktes vom Anfang des Gewölbebogens. Der Radius des Gewölbebogens ergibt sich aus den Daten der Geometer-Vermessung (2,83m).

    Aus den Tangentialen zu den beidseitigen Radien lässt sich für die Verbindungsrippe (blau) ein Radius von 14,115 m ermitteln.

    Aus der nächsten Zeichnung erkennt man, dass die sehr flachen Verbindungsrippen aus statisch konstruktiven Gründen in der Gewölbemitte unterstützt werden müssen. Dies geschieht durch einen Rippenbogen (gelb), der in Längsrichtung das Joch zwischen den Mittelstützen (blau) überspannt. Dieser Rippenbogen entspricht auch dem Wandan-schlussbogen des Gewölbes an der Außenwand, nicht jedoch dem Gewölbeanschluss an der Mittelschiffarkade. Man sieht, dass hier der Scheitel des Arkadenbogens bedeutend höher liegt.

    Aus dem Zusammenfügen der einzelnen, rekonstruierten Gewölberippen wird immer deutlicher, dass ursprünglich über den erhaltenen Gewölbeanfängern in den Jochen 7 und 8 des nördlichen Seitenschiffs ein breites Netzgewölbe zwischen der Mittelschiffarkade und der Außenwand geplant war.  

    Die zuvor beschriebenen flachen Zwischenrippen (blau) liegen zu tief zum Anschluss an den Arkadenscheitel. Ich vermutete daher, dass die vom Geometer mit 35.38° zur Längsachse eingemessene Zwischenrippe (rot) zur Unterstützung der zum Arkadenscheitel weiterführenden, notwendigen Gewölberippen einen tragenden Bogen bilden sollte, wie hier dargestellt.

    Aus dem Geometer-Aufmaß ergibt sich eine gesamte Spannweite von 5,675 Metern. Der Winkel der aus den Säulen aufsteigenden Schenkel des Rippenbogens ist mit 35,38 vermessen. Daraus läßt sich eine seitliche Schenkellänge von 2,07 Metern und ein mittlerer Zwischenbogen von 1,535 Metern ermitteln.    

    Der Verlauf des abgewinkelten Rippenbogens (rot) lässt sich auch rekonstruieren durch eine Spiegelung bzw. Drehung der Rippen um die Mittelachsen, wie hier dargestellt. Dabei stellt sich heraus, dass die sich kreuzenden Rippen (rot und grün) in den Schnittebenen auf gleicher Höhe liegen

    .

    Unklar bleibt, warum der Rippenbogen (rot) nicht steiler, also mit größerer Spannung angesetzt wurde, um einen höheren Scheitelpunkt zu erreichen. Die von der Mittelsäule (blau) aufsteigende Rippe (grün) hat bis zum Schnittpunkt mit dem Rippenbogen (rot) bereits ihren Scheitelpunkt überschritten, das ist statisch ungünstig.

    Für den Einbau von Gewölbekappen zum Anschluss an den Arkadenbogen sind weitere Rippen mit gleicher Spannung als Tragkonstruktion in einem sehr steilen Anstieg zwischen dem Rippenbogen (rot) und dem Scheitel der Mittelschiffarkade erforderlich.

    Bauliche Hinweise am Arkadenbogen auf diese Rippen habe ich nicht gefunden, auch nicht auf den Anschluss von Gewölbekappen. Sie wurden vermutlich bei der späteren Planänderung umgebaut oder überarbeitet.

    Ein Überblick über die Gewölberippen zeigt, dass die Gewölbe bauökonomisch sinnvoll aus nur wenigen Rippen mit unterschiedlichen Radien bestehen (jede Farbe ein anderer Radius)

    In den vorausgegangenen Zeichnungen habe ich dargestellt, dass sich aus dem Verlauf der drei abgeknickten, eingemessenen Gewölberippen die ursprünglich geplante Gewölbeform sehr genau rekonstruieren lässt.

    Wie aber fügte sich das Netzgewölbe zwischen Mittelschiffarkade, Nordfassade und Westgiebelwand ein? Wie sollten diese Gewölbe überdacht werden? Das sollen die folgenden Überlegungen zeigen.  

    Überlegungen zum Gewölbeanschluss an die Außenwände:

    Die folgende Zeichnung zeigt den Blick auf die Gewölberippen und -kappen, auf die Mittelsäulen im sogen. Gewölbekessel und auf den Anschluss des Gewölbes an Mittel-schiff-Arkade und Giebelwand.

    In die offene Nordfassade sind die heutigen Fenstergewände mit Gesimsen und flachen Tudorbogen-Abschlüssen eingezeichnet und oberhalb des jetzigen Kämpfers auch ein möglicher gotischer Bogenabschluss. Dieser ist üblicherweise konstruiert auf der Basis eines gleichseitigen Dreiecks mit dem Radius der inneren lichten Öffnung. Dass diese gotischen Bogenabschlüsse sich einfügen unter den Wandanschlussrippen der Gewölbe ist deutlich erkennbar.

    Eine Bestätigung finden wir auch in dieser Innenansicht mit Blick unter die Gewölbe. Sie zeigt links den Gewölbeanschluss an die Mittelschiffarkade, rechts an die Nordfassade.

    In den Fensteröffnungen sind über der heutigen Kämpferhöhe zum Vergleich nochmals die flachen Tudorbogen eingezeichnet.

    An der Mittelschiffarkade erkennt man den einseitigen, radialen Gewölbeanschluss mit komplizierten Überschneidungen der Rippen am profilierten Scheidbogen. An den Mittelsäulen steigen die Rippen dagegen allseitig radial tangential auf und an der Außenwand zentral über Diensten und Kapitellen.

    Überlegungen zur Überdachung der Gewölbe:

    Eine Überdachung dieser Seitenschiffe läßt sich anhand vorhandener Bauspuren rekonstruieren, die bei der Sanierung des Münsters zwischen 1908-1924 aufgemessen und dokumentiert wurden.

    In dem hier kopierten Aufmassblatt Nr.50 habe ich die einzelnen Bauspuren farbig hervorgehoben:

    • Nach Aufgabe der Planung einer 3-schiffigen Hallenkirche wurde der in Quaderbauweise errichtete Westgiebel bis auf die im Plan grün gezeichnete Linie abgebrochen.
    • Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Giebel in Bruchsteinmauerwerk bis auf die rote Linie wieder aufgemauert.
    • Mit einer weiteren Aufmauerung aus Ziegelmauerwerk bis zur Sparrenlage über den nördlichen Seitenschiffen stellt die magenta Linie den heutigen Giebelabschluss dar.

                                                                          

    Die Linien der Bauspuren im Raumbild zeigen deutlich:

    • die untere Abbruchlinie liegt zu tief für eine Gewölbeüberdeckung und die Linie des heutigen Pultdachs überschneidet die untere Hälfte der Obergadenfenster
    • zum Anschluss der Gewölbe an die Fassade war vermutlich eine Kombination aus einem Pultdach (rote Linie) mit quergestellten Satteldächern über jedem Gewölbejoch geplant. Dafür spricht auch das Detail im Aufmaß, das einen ehem. Dachanschluss über dem Fenster einer nachträglich eingebauten Arkade zwischen den Seitenschiffen zeigt.

    Die Dachkonstruktion muss zwischen der Mittelschiffarkade und der Aussenwand stützenfrei gewesen sein. Dadurch war der Aufbau des Daches und der geplanten Gewölbe statisch, konstruktiv und zeitlich unabhängig voneinander möglich.

                                                                                                                           

    die hier dargestellte, mögliche Konstruktion des Dachstuhls ist ohne baulichen Nachweis

    Nach der erneuten Umplanung des Münsters (1429) wurde nachträglich im Joch 7+8 eine weitere Arkade unter dem bereits vorhandenen Dach eingebaut. Dies belegen die hier dargestellten und im Aufmaß Blatt 50 dokumentierten Spuren des ehemaligen Dachan-schlusses.

    Zusammenfassung der Ergebnisse:

    Die ungewöhnlichen Gewölbeanfänger im Überlinger Münster mit den „abgeknickten Rippen“ hatten mich gereizt. Wofür waren sie ursprünglich angefertigt worden, warum hatte man sie an dieser Stelle eingebaut?

    Völlig überraschend führte mich aber dann die Rekonstruktion der ehemals geplanten Gewölbe zu neuen Erkenntnissen einer bisher unbekannten, architektonisch sehr interessanten Planungs- und Bauphase des Überlinger Münsters.

    So muss m.E. die zeitliche Abfolge gewesen sein:

    eine große Hallenkirche, gegen 1420 geplant und mit der Ausführung der Außenwände teilweise begonnen. Die Fenstergewände und Anfänger der Gewölbe sind in den Seiten-schiffen erhalten

    zwischen 1420 / 1429 Umplanung und in den Jochen 7 und 8 im nordwestlichen Seitenschiff auch Ausführung incl. des Daches und der Gewölbeanfänger

    Ausführung ab 1429 bis 1436, zunächst beginnend am Chor bis vermutlich zum Joch 5 oder 6.  

    später (ab ca.1470) folgte der Einbau von Seitenkapellen und ab 1512 der Umbau der Dächer

    der ursprüngliche Plan 1420

    Diese Zeichnung zeigt die ursprüngliche Planung mit 3 gleichbreiten Kirchenschiffen. Die Höhe der Kämpfer im Mittelschiff liegt 15,10m, die der Seitenschiffe 12,50m über Fußbodenhöhe.

    (Differenz 2,60m = 8 Fuß, gleiche Differenz bei Umbau und Erhöhung der Chorgewölbe)


    Nach Einstellung der Arbeiten an dieser ursprünglich geplanten 3-schiffigen Hallenkirche hatte es offensichtlich einen Versuch gegeben, die architektonische Vision beizubehalten:

    die bisher unbekannte Planung vor 1429:

    der lichtdurchflutete Kirchenraum unter hohen Gewölben, aber jetzt in einer veränderten und den statisch konstruktiven Erfordernissen angepassten Form.

    Die Seitenschiffe waren niedriger, von einer Stützenreihe unterteilt. Dadurch wurde im Mittelschiff ein Obergaden notwendig mit Fenstern über den Seitendächern zur Belichtung des Mittelschiffs. Aus dieser Planungsphase sind Mittelschiff, Obergaden, Dachstuhl und die drei „unpassenden Gewölbeanfänger“ im heutigen Münster erhalten.

    die Ausführung zwischen 1429 bis 1436:

    Als man aber vor 1429 erneut umgeplante, wurde die bisherige architektonische Raumvorstellung vollständig aufgegeben.

    Die romanische Basilika wurde abgebrochen. Auf ihren Fundamenten und den bereits bis etwa zu den Fenster-Kämpfern errichteten Außenmauern der vorher geplanten Hallenkirche die heutige fünfschiffige Basilika erbaut.

    So entstanden ab 1429 (vermutlich zunächst nur in den ersten sechs Jochen) auf jeder Seite des Mittelschiffs zwei Seitenschiffe mit Arkaden und Obergaden unterschiedlicher Ausformungen und in abgestuften Höhen:

    eine neue Basilika an Stelle der geplanten Hallenkirche, in der Raumwirkung das genaue Gegenteil der ursprünglichen Planung.

    Bis 1436 wurden die fertiggestellten Bauteile mit einem alles überspannenden Sattel-dach eingedeckt. Dadurch war es im Inneren des Münsters sehr dunkel, die Fenster im Obergaden des Mittelschiffs wirkungslos. Die Belichtungsprobleme wurden ab 1470 nochmals vergrößert durch den Einbau von Seitenkapellen zwischen den Strebepfeilern und einer Gebäudebreite von jetzt fast 34 Metern.

    Nichts erinnerte mehr an die ursprüngliche Entwurfsidee des Münsterbaumeisters Hans Dietmar, an seine architektonische Vision eines lichtdurchfluteten Kirchenraumes unter einem Firmament hoher Gewölbe.

    Die hier aufgezeigte Rekonstruktion der geplanten Gewölbe klärt das bisherige Geheimnis der abgeknickten Rippen. Aus Sicht eines Architekten ist aber viel interessanter der verständliche Versuch des Münsterbaumeisters, seine räumliche Vorstellung in einer veränderten Ausführung zu retten. Unklar bleibt jedoch die Ursache für das Scheitern seiner Bemühungen.

    Gab es vielleicht andere, nicht architektonische, sondern ideologisch oder theologisch begründete, unterschiedliche Raumvorstellungen von einem Kirchenraum?

    Ein in Oberschwaben verehrter Mystiker aus Überlingen und seine Lehre von Askese und Kasteiungen vielleicht im Gegensatz zu der geplanten, hellen, offenen, ja fröhlichen Architektur?

    Josef Hecht vermutet, dass 1436 „Erschöpfung der Geldmittel…die Ursache gewesen, warum der Rat den hochverdienten Meister Hans entließ“.

    Er war zwischen 1425 und 1436 Münsterbaumeister in Überlingen.  

    Vielleicht war Münsterbaumeister Hans Dietmar auch froh, dass seine vertragliche Bindung nach zehn Jahren endete, enttäuscht, dass seine Ideen nicht hatten verwirklicht werden können.

    Carl Fahr, Dipl. Ing. Architekt BDA

    Überlingen, 2022 / 2023